Einfluss der Privatkläger auf das Anklageprinzip

In einem zur Publikation in der AS vorgesehenen Urteil kassiert das Bundesgericht einen Entscheid des Obergerichts AG wegen Verletzung des Anklageprinzips (BGE 6B_1404/2020 vom 17.01.2022). Das Obergericht hatte den Beschwerdeführer wegen versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt, obwohl lediglich eine qualifizierte einfach Körperverletzung angeklagt war. Das hinderte die Staatsanwaltschaft nicht daran, in ihrer Anschlussberufung entgegen ihrer eigenen Anklage und ohne deren Änderung eine Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu beantragen, und dies zunächst auch noch erfolgreich. Das Bundesgericht kassiert mit folgender Begründung:

Die Staatsanwaltschaft ist nicht an die rechtliche Würdigung in der Anklageschrift und an die darin gestellten Anträge gebunden (vgl. Art. 337 Abs. 2 StPO). Es steht ihr daher frei, vor Gericht über die Anträge in der Anklageschrift hinauszugehen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn der in der Anklage umschriebene objektive und subjektive Sachverhalt eine solche rechtliche Würdigung zulässt. Ist dies nicht der Fall, ist eine Änderung der Anklage in Anwendung von Art. 333 Abs. 1 StPO notwendig. Ergänzende tatsächliche Ausführungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Plädoyers vermögen eine formelle Änderung der Anklageschrift nicht zu ersetzen (vgl. Urteil 6B_633/2015 vom 12. Januar 2016 E. 1.4.1) [E. 2.5.4].

Dem Beschwerdeführer wird das aber kaum helfen, denn das Bundesgericht interessiert sich anschliessen nur noch mit der Frage, wie man den Beschwerdeführer nun doch noch wegen versuchter schwerer Körperverletzung verurteilen könnte. Den Schlüssel dazu sieht es in der Parteistellung des Privatklägers:

Unter diesen Umständen bleibt eine Änderung bzw. Ergänzung der Anklage auch nach dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid noch möglich, da der Beschwerdegegner 2 eine solche sowohl erst- als auch zweitinstanzlich beantragte und sein Antrag bisher nicht korrekt behandelt wurde (E. 2.6.8).

Die Erwägungen, die zu diesem Ergebnis führen, sind einer kritischen Würdigung zu unterziehen, was die Lehre hoffentlich rasch machen wird. Was mich bereits auf den ersten Blick wundert ist die Tatsache, dass sich der Beschwerdegegner 2, dessen Anträge nicht korrekt behandelt worden sein sollen, gar nicht dagegen beschwert hat. Er hat vor Bundesgericht gewonnen, ohne sich am Verfahren auch nur beteiligt zu haben.