Ersatzfreiheitsstrafe: Einladung an den Gesetzgeber
Das Bundesgericht weist den Gesetzgeber auf eine unklare Gesetzeslage hin und lädt ihn ein, die Unklarheiten zu beseitigen. Anlass zu dieser Feststellung gab eine (von vornherein aussichtslose) Laienbeschwerde über die Verbüssung einer Ersatzfreiheitsstrafe (BGer 6B_889/2022 vom 02.11.2022, Fünferbesetzung).
lädt den Gesetzgeber ein,
Betreffend die Frage, welche Folgen eine nicht schuldhafte Nichtbezahlung hat, wird in der Literatur die Meinung vertreten, das Gericht, das mit dieser Situation konfrontiert werde, habe seit dem 1. Januar 2018 drei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten: Zunächst könne gestützt auf den Wortlaut von Art. 106 Abs. 2 StGB in Betracht gezogen werden, dass die Behörden auf alle Forderungen gegen den Verurteilten, welcher die Busse nicht schuldhaft nicht bezahlt, verzichten müssen. Eine zweite Möglichkeit sei, dass die geltenden Bestimmungen zur Ersatzfreiheitsstrafe bei der Geldstrafe gestützt auf Art. 334 StGB analog auf die Ersatzfreiheitsstrafe bei der Busse angewendet werden. Dies hätte allerdings zur Folge, dass entgegen dem Wortlaut von Art. 106 Abs. 2 StGB die Ersatzfreiheitsstrafe auch bei nicht schuldhafter Nichtbezahlung der Busse vollzogen würde. Schliesslich wäre es auch denkbar, in Berücksichtigung des hypothetischen Willens des Gesetzgebers, das seit 2007 geltende System bei den Bussen nicht zu verändern, die früheren und per 1. Januar 2018 aufgehobenen Gesetzesbestimmungen (hauptsächlich aArt. 36 Abs. 3 StGB) analog anzuwenden (ANDRÉ KUHN, Droit suisse des sanctions: de l’utopie à la dystopie, ZStrR 3/2017 S. 248 f.; DERSELBE, Le droit des sanctions version 2018, in: Dupont/Kuhn [Hrsg.], Droit pénal – Evolutions en 2018, S. 21 f.). Darüber, welche der obgenannten Interpretationsmöglichkeiten vorzuziehen ist, sind jene Autoren, die sich überhaupt damit auseinandersetzen, unterschiedlicher Ansicht. KUHN bevorzugt die erstgenannte Interpretation, da sie als einzige nicht dem aktuellen Gesetzeswortlaut widerspreche (KUHN, a.a.O., S. 249 bzw. S. 22). Diese Meinung vertreten wohl auch STRATENWERTH/ BOMMER, die unter Hinweis auf den Wortlaut von Art. 106 Abs. 2 StGB festhalten, die Busse solle, im Unterschied zur Geldstrafe, nach wie vor nur dann in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden können, wenn der Verurteilte sie schuldhaft nicht bezahlt (STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O., S. 66 Rz. 32). JEANNERET geht davon aus, dass nach der Aufhebung der Abs. 3-5 von Art. 36 StGB keine Gestaltungsmöglichkeit mehr zu Gunsten des Verurteilten besteht, wenn dieser die Busse nicht schuldhaft nicht bezahlt, was er kritisiert (YVAN JEANNERET, in: Commentaire romand, Code pénal I, 2. Aufl. 2021 [nachfolgend: JEANNERET, CR], N. 31 zu Art. 106 StGB). Gemäss der Meinung von MAUSBACH/STRAUB kann der Verurteilte, der die Busse nicht schuldhaft nicht bezahlt, eine Verlängerung der Zahlungsfrist, eine Herabsetzung des Betrags oder die Umwandlung der Busse in gemeinnützige Arbeit beantragen (MAUSBACH/STRAUB, a.a.O., N. 9 zu Art. 106 StGB). Dies deutet grundsätzlich auf die drittgenannte Interpretationsmöglichkeit hin, wobei die Autoren ihre Auffassung nicht begründen bzw. die Aufhebung von aArt. 36 Abs. 3 StGB nicht erwähnen. Einen Mittelweg zwischen den Varianten 1 und 3 scheint HEIMGARTNER zu sehen. So habe der Verurteilte, der eine schuldlose Nichtbezahlung geltend machen wolle, bei den Vollzugsbehörden um eine Verlängerung der Zahlungsfrist zu ersuchen oder gemeinnützige Arbeit als alternative Vollzugsart zu beantragen (Art. 79a Abs. 1 lit. c StGB). Er schreibt weiter, durch die Aufhebung von aArt. 36 Abs. 3 StGB sei wohl eine Herabsetzung der Bussenhöhe bei schuldhafter [recte: schuldloser] Nichtbezahlung der Busse ausgeschlossen (HEIMGARTNER, a.a.O., N. 18 zu Art. 106 StGB) [E. 2.3.4].
Aussichtslos war die Beschwerde, weil die schuldhafte Nichtbezahlung erstellt war.
Es gab im Forderungsprozess einen Verlustschein, das heisst es gibt keine Pfänbaren Vermögenswerte und das Einkommen lag unter dem Existenzminimum, da man es ja ansonsten anteilmässig hätte pfänden können.
Wieso das die Schuldhafte nicht Bezahlung damit erstellt sein konnte, erschliesst sich mir nicht, mM ist gerade das Gegenteil erstellt, nähmlich das der Beschwerdeführer, ja nicht mal einen Teil seines Einkommens auch für eine Ratenzahlung entbehren durfte/konnte….
Hätte der Beschwerdeführer also Gläubigerbevorzugung begehen sollen und Existentielle Dinge wie Miete oder KK nicht mehr zahlen sollen um die Busse zu bezahlen???
Wie gut, dass durch einen Anwalt* gewusst wurde, was aussichtlosis ist.
@Jeker: Das wurde nicht durch einen Anwalt* gewusst (um auch sprachlich auf Ihrer Höhe zu bleiben).
Ich habe mich erst jetzt mit dem Entscheid auseinandergesetzt. Gibt es eigentlich einen Grund, warum man sich nicht einfach an den Gesetzeswortlaut hält? Wenn jemand unverschuldet nicht zahlt (nicht zahlen kann), dann zahlt er eben nicht und gut ist. Das steht so im Gesetz. Oder nicht? Das kann man gut oder schlecht finden. Aber das ist bekanntlich nicht relevant. Relevant wäre das Gesetz. Was übersehe ich?
Und die Bemerkung von „Yoda“ scheint mir im Übrigen auch interessant. Wenn sich nach einem Betreibungsverfahren eine mikrige Busse von CHF 450 als uneinbringlich herausstellt, scheinen wir doch gewichtige Hinweise dafür zu haben, dass die Busse nicht bezahlt werden konnte…
Die Lösung von HEIMGARTNER scheint mir von vornherein nicht auf diesen Fall anwendbar, weil Art. 79a StGB nur Fälle abdeckt, wo die Busse bezahlt werden könnte, man allerdings lieber GA leisten möchte.
Wer klärt mich auf?
Intererssant ist ebenfalls die andere Konstellation: Für die Umwandlung der Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe braucht es bekanntlich dann eines gerichtlichen Entscheids, wenn die Busse durch eine Verwaltungsbehörde verhängt wurde. Oftmals kommt dann das sogenannante Ordnungsbussenverfahren (OBG/OBV) zur Anwendung. Vorleben und persönliche Verhältnisse der beschuldigten Person werden nicht berücksichtigt. Die Ordnungsbusse beträgt höchstens 300 Franken.
Das heisst dann: es kann gar nicht erst gepfrüft werden, ob die gebüsste Person schuldhaft oder nicht schuldhaft nicht bezahlt hat. Falls die gebüsste Person in der Schweiz wohnhaft ist, wird nach Durchführung des Betreibungsverfahrens die Ersatzfreiheitsstrafe ausgesprochen. Falls der Wohnsitz im Ausland oder unbekannt ist, wird direkt umgewandelt. Dies jeweils nach Gewährung des rechtlichen Gehörs bzw. öffentlicher Publikation.
Was ist wenn jemand bei der Bank eine Kredit aufnimmt, oder bei was auch immer dubiosem Geldverleih und damit die Busse bezahlt. Dann kann die verurteilte Person sich freikaufen und da ja die Betreibung nichts bringt, in Freiheit verbleiben. Interessant oder?
Auch fraglich ist der Grundsatz der Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe, da die reichen sich immer freikaufen können, diese Bussen aus der Portokassen bezahlt werden und so keinen Effekt haben. Auch dem Staat bringt dies nicht, da Geld speziell für den Staat so oder so nur eine Nummer am Computer ist. Arme und auch solche die im Hamsterrad rennen gehen dann ins Gefängnis, dass man ihnen die Möglichkeiten noch mehr verbaut.