Entsiegelung im Verwaltungsstrafverfahren

Im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens gegen unbekannte Täterschaft (Abgabebetrug, eventuell Hinterziehung von Verrechnungssteuern im Umfang von über CHF 20M), begangen im Geschäftsbereich einer Aktiengesellschaft führte die EStV eine Hausdurchsuchung am Wohnort eines Geschäftsführers der Gesellschaft durch und stellte Datenträger sicher, die auf Einsprache hin versiegelt werden mussten. Das Entsiegelungsgesuch wurde vom Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) gutgeheissen, was der Geschäftsführer vor Bundesgericht (BGE 1B_637/2012 vom 08.05.2013, Publikation in der AS vorgesehen) erfolglos beanstandet hat.

Das Bundesgericht hatte sich zuerst zur Frage zu äussern, ob die Steuerverwaltung das Entsiegelungsgesuch fristgerecht gestellt hat. Seit der Siegelung war nämlich ein Monat vergangen (vgl. dazu die Frist von 20 Tagen gemäss Art. 248 Abs. 2 StPO). Gemäss Bundesgericht gilt diese Frist im Verwaltungsstrafverfahren nicht:

Eine förmliche Frist zur Einreichung des Entsiegelungsgesuches der Untersuchungsbehörde kennt das VStrR nicht. Insbesondere hat der Gesetzgeber bei Erlass der StPO (per 1. Januar 2011) keine Anpassung von Art. 50 VStrR an Art. 248 Abs. 2 StPO (20-Tages-Frist für Entsiegelungsgesuche) vorgenommen. Lediglich die Fristen im gerichtlichen Verfahren richten sich nach der StPO (Art. 31 Abs. 2 und Art. 82 VStrR, in der Fassung gemäss Anhang 1 Ziff. II/11 zur StPO). Das gerichtliche Verfahren nach VStrR ist im Dritten Abschnitt des Dritten Titels (Art. 73-82 VStrR) geregelt. Das Entsiegelungsverfahren vor der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts in der Untersuchung nach VStrR (Art. 37-61 VStrR) fällt nicht darunter. Die Art. 73-82 VStrR regeln das Verfahren vor dem erkennenden kantonalen Strafgericht bzw. vor der Strafkammer des Bundesstrafgerichts nach erfolgter Überweisung (Anklage). Die untersuchende Verwaltungsbehörde hat allerdings – gerade bei Entsiegelungsgesuchen – dem Beschleunigungsgebot in Strafsachen ausreichend Rechnung zu tragen (Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 5 Abs. 1 StPO). Die allgemeinen strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Grundsätze sind jedenfalls auch im Verwaltungsstrafverfahren zu berücksichtigen (E. 3.2).

Der Beschwerdeführer hat u.a. noch gerügt, der Entsiegelungsrichter habe sich auf neue Unterlagen gestützt und es sei ihm nicht möglich gewesen, dazu Stellung zu nehmen. Das Bundesgericht schmettert diesen Einwand mit einem Totschlägerargument ab:

Zwar hatte die Beschwerdekammer selbst zu prüfen, ob die Entsiegelungsvoraussetzungen erfüllt sind oder nicht. Eine detaillierte Sichtung und Aussonderung (Triage) von versiegelten Aufzeichnungen hat das Entsiegelungsgericht jedoch nur insoweit vorzunehmen, als die betroffenen Inhaber der versiegelten Aufzeichnungen konkrete Entsiegelungshindernisse geltend machen. Soweit solche nicht substanziiert dargelegt werden, darf das Entsiegelungsgericht die Freigabe der Aufzeichnungen verfügen, zu deren Durchsuchung und allfälligen weiteren Verwendung seitens der Untersuchungsbehörde (BGE 138 IV 225 E. 7.1 S. 229; 137 IV 189 E. 5.1.2 S. 196 f., E. 5.3 S. 198 f.; je mit Hinweisen) [E. 3.5].

Der Rest des Entscheids ist sehr sachverhaltslastig. Bemerkenswert ist immerhin, wie aufwändig der Tatverdacht begründet werden musste.