Entsiegelung: Steuerverwaltung v. Bundesstrafgericht
Die ESTV hat manchmal ein eher befremdlich anmutendes Rechtsverständnis, welches das Bundesgericht nun aber in aller Deutlichkeit richtigstellt (BGer 1B_611/2019 vom 17.12.2020). Es geht um die Frage nach den Aufgaben des Entsiegelungsrichters und um diejenige, welche Unterlagen ihm von der Untersuchungsbehörde zur Verfügung zu stellen sind. Die ESTV glaubt,
[…], es sei nicht Aufgabe des Bundesstrafgerichtes, „anstelle der Untersuchungsbehörde“ über die Relevanz der versiegelten Papiere und die allfällige Ausscheidung von Akten zu entscheiden oder eine summarische Sichtung der Unterlagen vorzunehmen. Für eine eigene Beurteilung der Untersuchungsrelevanz der versiegelten Unterlagen könne sich die Beschwerdekammer auf die Begründung des Entsiegelungsgesuches bzw. den Schriftenwechsel abstützen. Weitergehende Informationen könne sie auch einem „detaillierten Inhaltsverzeichnis“ entnehmen, welches noch bei der beschwerdegegnerischen Gesellschaft eingefordert werden könnte, die das Siegelungsbegehren stellte (E. 2).
Das Bundesgericht stellt klar, es sei klarerweise anders:
Entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden ESTV muss das Bundesstrafgericht als zuständiges Entsiegelungsgericht – nach der oben dargelegten gesetzlichen Regelung und Rechtsprechung – selber prüfen können, ob und auf welche Weise es eine Triage der versiegelten Unterlagen vorzunehmen hat. Zur Erfüllung dieser gesetzlichen Aufgabe muss die Vorinstanz in die versiegelten Unterlagen grundsätzlich integral Einsicht nehmen können. Die ESTV verkennt dabei, dass der Entsiegelungsrichter bei der Prüfung der Zulässigkeit und des allfälligen Umfanges der Entsiegelung nicht bloss auf die Vorbringen der Untersuchungsbehörde in deren Entsiegelungsgesuch abstellen kann. Vielmehr muss er seine Sachverhaltsfeststellungen auf die relevanten Akten stützen. Es ist auch klarerweise Sache des Entsiegelungsrichters – und nicht die Aufgabe der ESTV -, prozessleitend zu entscheiden, ob für eine gebotene richterliche Triage der versiegelten Unterlagen deren Sichtung notwendig erscheint oder ob in begründeten Ausnahmefällen auch schon aufgrund von „Aktenverzeichnissen“ der edierenden Person oder Gesellschaft entschieden werden könnte. Festzustellen ist gleichzeitig auch, dass hier ein formgültig erhobenes Entsiegelungsgesuch vorliegt. Sofern die ESTV an diesem festhalten möchte, hat sie der Vorinstanz unverzüglich alle versiegelten Unterlagen integral nachzureichen. Diesfalls hätte die Beschwerdekammer noch über das hängige Entsiegelungsgesuch zu entscheiden; andernfalls könnte die Vorinstanz das Entsiegelungsverfahren als erledigt abschreiben (E. 4).
Was ist es, dass man mit dieser Rechtsauffassung, die entgegen jeglicher konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist, ausgerechnet ans Bundesgericht gelangt: Mut?
In der StPO steht aber nichts von Untersuchungsrelevanz analog VStrR 50 I oder sehe ich das falsch? Ich begreife immer noch nicht, weshalb das Entsiegelungsgericht, zumindest im Rahmen der StPO und ausserhalb von geltend gemachten Aussage- und Zeugnisverweigerunsgrechten die Untersuchungsrelevanz prüfen soll.
@Löwenzahn: Schutz vor Zufallsfunden (hat das BGer kürzlich auch gesagt).
@kj Was war das für ein BGE Urteil ? Das wurde hier nicht thematisiert oder ?
@John: doch
Vielen Dank für die Verlinkung.