Ermächtigungserfordernis bei ausgelagerten öffentlichen Aufgaben?
Das Bundesgericht führt in einem neuen Grundsatzentscheid aus, dass und wieso Private, denen öffentliche Aufgaben übertragen werden, in der Regel ohne Ermächtigung i.S.v. Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO verfolgt werden dürfen bzw. müssen (BGE 1C_104/2022 vom 20.12.2022):
Insgesamt ergibt sich gestützt auf eine zeitgemässe Gesetzesinterpretation in weitgehendem Einklang mit dem Schrifttum, dass Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO einschränkend auszulegen ist. Insbesondere sind Privatpersonen, denen öffentliche Aufgaben übertragen werden, grundsätzlich vom Ermächtigungserfordernis auszunehmen, solange nicht zwingende Gründe für eine Ausnahme sprechen (E. 3.4.5).
Im konkreten Fall ging es um drei Angestellte des privaten Dienstleistungserbringers ORS Service AG. Zwei weitere Beschuldigte waren aber Mitarbeiterinnen des kantonalen Sozialamts, welche im Gegensatz zu den ORS-Angestellten durch das Ermächtigungserfordernis geschützt waren. Für das Bundesgericht war es aber rechtens, bloss die öffentlich-rechtlichen Angestellten vor mutwilliger Strafverfolgung zu schützen. Das Argument, es mache mit Blick auf den Schutz vor mutwilliger Strafverfolgung und auf ein reibungsloses Funktionieren der Erfüllung der öffentlichen Aufgabe keinen Unterschied, ob eine solche von einem Staatsbediensteten oder einer staatlich beauftragten Privatperson wahrgenommen werde, blieb erfolglos. Entscheidend für das Bundesgericht war die Entwicklung des Beamtenstatus sowie der Verwaltungsorganisation, was dann zu folgendem Ergebnis führt:
Die Verweigerung einer Ermächtigung ist daher nicht von vorneherein rechtsungleich oder unfair und stellt auch nicht einen unzulässigen Eingriff ins Privatleben eines Anzeigeerstatters bzw. eines möglichen Privatklägers dar. Die gesetzliche Einrichtung eines Ermächtigungsvorbehalts gegenüber Personen im Staatsdienst verletzt weder die Bundesverfassung noch die Menschenrechtskonvention. Es verstösst daher nicht nur schon deshalb gegen Bundesrecht, weil sich das Obergericht gegenüber den Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 überhaupt auf die gesetzliche Regelung gestützt und von einer Ermächtigung zur Strafverfolgung abgesehen hat. Zu prüfen bleibt aber, ob der angefochtene Beschluss insofern als Entscheid im Einzelfall mit dem Bundesrecht vereinbar ist (E. 4.4).
Der Entscheid, die Sozialamtsmitarbeiterinnen zu schützen, die ORS-Leute aber nicht, war gemäss Bundesgericht mangels Anfangsverdachts “insofern” mit Bundesrecht vereinbar. Für die ORS-Angestellten sieht die Sache dennoch nicht ganz hoffungslos aus:
Die zuständige Staatsanwaltschaft wird vielmehr zu prüfen haben, ob ein ausreichender Anfangsverdacht besteht, und gestützt darauf über die Anhandnahme einer Untersuchung entscheiden müssen. Je nach Sachlage erscheint auch eine spätere Verfahrenseinstellung nach Eröffnung einer Untersuchung nicht ausgeschlossen (E. 3.5).
Das ist doch letztlich nichts anderes als ein eigentlicher Steilpass an die Staatsanwaltschaft, für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung im vorliegenden Fall zu sorgen.
Warum sollte die Sache für die ORS-Leute hoffnungslos sein, wenn sie nicht als Beamte gelten? Führt denn jede Anzeige zu einer Verurteilung?
@DR: Sie ist eben nicht hoffnungslos. Ihre Anmerkung zeigt aber, dass Sie sich offenbar nicht vorstellen können, wie belastend ein Strafverfahren sein kann. In unserem System besteht die Strafe im Verfahren. Daran ändert auch ein Freispruch wenig.
Es ist sowieso ein Unding, diese Ermächtigung. Straftat ist Straftat und gehört verfolgt. Im vorliegenden Fall zeigt sich exemplarisch das für die Ermächtigung ein anderer Massstab angelegt wird als für den generellen Anfangsverdacht, wieso der Staat bzw seine Exponenten sich selbst „weniger“ ans Gesetz halten sollen müssen bzw die Messlatte was ein genügender Anfangsverdacht ist unterschiedlich ist, kann ja kaum mit dem Rechtstaat sondern nur mit Korrumptiom begründet werden…