Erneut gerügt: Schlechtverteidigung
Aus der vom Bundesgericht publizierten Rechtsprechung scheint hervorzugehen, dass die Schlechtverteidigung nach und nach auch in der Schweiz vermehrt thematisiert wird.
In einem heute publizierten Entscheid (BGer 6B_837/2013 vom 08.05.2014) kommt das Bundesgericht allerdings wie fast immer zum Schluss, dass keine oder keine schwerwiegende Pflichtverletzung der Verteidigung erkennbar sei, im vorliegenden Fall trotz verpasster Frist:
Es trifft zu, dass Fürsprecher C. die ihm angesetzte richterliche Frist zur schriftlichen Berufungsbegründung im Sinne von Art. 406 Abs. 3 StPO nach zweimaliger Erstreckung versäumte (wobei die Rüge des Beschwerdeführers, es bleibe schleierhaft, wie eine gesetzliche Frist habe erstreckt werden können, und dessen Hinweis auf die nicht einschlägigen Art. 399 Abs. 3 und Art. 89 Abs. 1 StPO an der Sache vorbeigehen). Aus dem einmaligen Fristversäumnis vermag der Beschwerdeführer nichts für seinen Standpunkt abzuleiten. Zwar können in krassen Frist- und Terminversäumnissen schwere Pflichtverletzungen des Offizialverteidigers liegen (Urteil 1B_67/2009 vom 14. Juli 2009 E. 2.3 mit Hinweisen). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der amtliche Verteidiger legte im Rahmen seines Gesuchs um Wiederherstellung der Frist dar, wie es zum Fehler in seinem Sekretariat kam. Das entsprechende Verschulden hat sich der Offizialverteidiger anzurechnen. Die fehlerhafte Eintragung der Frist ist aber bis zu einem gewissen Grad verständlich. Sie kann auf jeden Fall nicht als krasses Versäumnis respektive als schwerwiegende Verfehlung eingestuft werden. Anzufügen bleibt, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Fristwiederherstellung keinen prozessualen Nachteil erlitt (E. 2.4.4).
Auch ein fehlender Antrag, ein Glaubhaftigkeitsgutachten zu erstellen, erachtet das Bundesgericht als unproblemtatisch, dies obwohl der Verteidiger die Glaubhaftigkeit der Aussagen im Plädoyer kritisch hinterfragt hatte:
Im Verzicht, ein Glaubhaftigkeitsgutachten zu beantragen, sieht der Beschwerdeführer ohne Grund eine Pflichtverletzung der Offizialverteidigung (E. 1 hievor). Die Behauptung, der amtliche Verteidiger habe die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen nicht ansatzweise hinterfragt, ist zudem aktenwidrig (vgl. das schriftliche Plädoyer vor der ersten Instanz, die Berufungserklärung vom 15. Oktober 2012 und die Berufungsbegründung vom 1. März 2013) [E. 2.4.3].
Auch der Umstand, dass der Verteidiger gegen den Willen des Beschwerdeführers mit dem schriftlichen Berufungsverfahren einverstanden war, lässt es nicht zu, eine Sorgfaltspflicht des Verteidigers zu bejahen. Hier kam das Bundesgericht vielleicht in Begründungsnot, zumal es die betroffene Vorinstanz selbst mehrfach darauf hingewiesen hat, dass der Gesetzgeber ein mündliches Verfahren vorgesehen hat:
Dem amtlichen Verteidiger steht bei der Erfüllung seiner Aufgabe ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Grundsätzlich wählt er (nach Rücksprache mit dem Beschuldigten) die Verteidigungsstrategie (BGE 116 Ia 102 E. 4b/bb S. 105 mit Hinweis). Er muss die Möglichkeit haben, Ansinnen seines Mandaten nicht mitzutragen. Dass die Vorinstanz den Verfahrensbeteiligten in Anwendung von Art. 406 Abs. 2 StPO die Behandlung der Berufung in einem schriftlichen Verfahren vorschlug, kann weder als sachlich unvertretbar noch als offensichtlich fehlerhaft bezeichnet werden. Mithin liegt in der fraglichen Zustimmung der Offizialverteidigung keine erhebliche Pflichtverletzung. Der Anspruch auf eine sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung der Parteiinteressen war auch nicht deshalb tangiert, weil der Beschwerdeführer selbst ein mündliches Berufungsverfahren wünschte. Diesen Umstand hat der Offizialverteidiger, indem er eine persönliche Eingabe des Beschwerdeführers an die Vorinstanz weiterleitete, im Übrigen offengelegt (E. 2.4.5).
Ich habe den Eindruck, dass die Sorgfaltspflichten der Verteidiger je nach Optik des Gerichts sehr unterschiedlich beurteilt werden. Geht es um berufsrechtliche Verfahren gegen Anwälte, ist die Rechtsprechung sehr streng. Macht hingegen ein Beschuldigter Sorgfaltspflichtverletzungen der Verteidigung geltend, ist man erstaunlich grosszügig. Vielleicht hat das damit zu tun, dass Schlechtverteidigung auf die Fürsorgepflicht der Richter zurückfällt. Vielleicht zeigt es aber auch, wie gering die Verteidigungsarbeit an sich geschätzt wird.
Ich finde interessant, dass die Frist wiederhergestellt worden ist. Ich dachte, das sei eher unüblich, zumal ja niemand todkrank war oder so, sondern die Frist einfach falsch eingetragen worden ist.
In der Tat eine interessante Feststellung, dass sich diese Verfahren häufen. Die Kritik, dass mit unterschiedlichen Ellen gemessen wird, ist meines Erachtens jedoch nicht unbedingt gerechtfertigt. Die Verletzung von Berufsregeln nach BGFA ist nur beschränkt mit der hier aufgeworfenen Frage der Schlechtverteidigung vergleichbar. Das ist auch gut so. Der Verteidiger soll seine Freiheit in der Festlegung der Strategie haben und eine Strategie kann sich ex post auch als unglücklich gewählt erweisen. Es wäre nun sehr problematisch, wenn die Gerichte anfangen, sich umfassend und immer erst im Nachhinein mit der Strategie (oder auch der Taktik) des Verteidigers auseinander zu setzen und diese in Einzelteile zerlegen. Die Klientschaft (und auch die Anwaltschaft) gewinnt nichts, wenn ein neuer Verteidiger regelmässig die Aufhebung eines Urteils verlangt, weil der Vorgänger versagt habe. Die Einmischung der Gerichte soll sich hier auf krasse Ausreisser konzentrieren oder wenn ein Verteidiger die Technik (also die elementaren Grundlagen) nicht beherrscht.
Anders die Berufsregeln nach BGFA (und die Standesregeln): Diese halte ich für Grundhandwerk und sie müssen von einem Anwalt beherrscht werden. Ein gewisse Strenge ist angebracht.
Schlechtverteidigung ist Verletzung der Berufspflicht. Dass es nicht der Richter sein soll, der die Taktik zu beurteilen hat, würde ich ja unterschreiben. Aber solange Schlechtverteidigung praktisch nur unter dem Blick der richterlichen Fürsorgepflicht gerügt werden kann, geht es halt nicht anders.
Dann handelt es sich um eine Definitionsfrage. Ich verstehe nur eine qualifizierte Schlechtverteidigung wirklich als Verletzung von Art. 12 BGFA. Wenn ein Verteidiger unglücklich agiert, verteidigt er allenfalls schlecht, verletzt aber damit m.E. nicht zwingend eine Berufsregel.