Erstaunliche und erstaunlich viele Rechtsverletzungen in einem einzigen Berufungsentscheid
Mit dem Urteil 6B_1362/2020 vom 20.06.2022 stellt das Bundesgericht gefühlt einen neuen Rekord an gutgeheissenen Rügen in einer einzigen Beschwerde auf. Der Fall könnte als Grundlage für eine Vorlesung über das Strafprozessrecht dienen, weil darin sehr viele Maximen behandelt werden.
Grund allen Übels scheinen aber wohl die Methoden einer Staatsanwältin gewesen zu sein, die etwas übereifrig zu Werke ging (Ausstands- und Strafverfahren gegen die Staatsanwältin blieben allerdings erfolglos bzw. wurden eingestellt):
Erstellt ist zudem, dass die Staatsanwältin D. im Anschluss an die zweite Konfrontationseinvernahme mit der Beschwerdeführerin vom 8. Dezember 2011 noch am selben Tag in einer separaten Einvernahme eröffnete, sie werde das gegen ihn geführte schweizerische Strafverfahren wegen Marihuanahandels einstellen, und dass sie den Umfang der Vermögenseinziehung mit diesem besprach, wobei D. angab, er möchte den Mercedes für seine Frau behalten und er sei mit der Verwertung der Gärtnerei (“U. “), über welche eine Grundbuchsperre verfügt worden war, nicht einverstanden (kant. Akten, act. 359/6). Die Staatsanwältin hob darauf hin die Grundbuchsperre über das besagte Grundstück mit Verfügung vom 9. Dezember 2011 auf, da eine Einziehung nicht mehr infrage komme (kant. Akten, act. 359/7). Zuvor wurde D. am Freitag 5. Dezember 2011 von der Staatsanwaltschaft der vorzeitige Strafvollzug bewilligt (kant. Akten, act. 359/5/47). Das Strafverfahren gegen D. wegen Betäubungsmitteldelikten, begangen in der Zeit zwischen anfangs 2005 und dem 26. November 2009 in den Kantonen Zürich, Luzern und Zug, wurde am 6. Januar 2012 formell eingestellt. Zur Begründung wird in der Einstellungsverfügung ausgeführt, es komme angesichts der in Österreich ausgesprochenen rechtskräftigen Freiheitsstrafe von 10 Jahren wegen des Transports von 154 kg Marihuana von V. nach Innsbruck nur noch eine nicht ins Gewicht fallende Zusatzstrafe in Betracht, weshalb es sich rechtfertige, das Verfahren gestützt auf Art. 8 Abs. 2 lit. c StPO einzustellen (angefochtenes Urteil S. 47; Einstellungsverfügung vom 6. Januar 2012, Akten Strafverfahren G-2/2010/1185, Ordner 7, act. 54). Von der Einstellungsverfügung vom 6. Januar 2012 miterfasst wird der von D. – gemäss seinen Aussagen gemeinsam mit der Beschwerdeführerin – begangene Diebstahl der Gelder von C. aus dem Schliessfach in Vaduz (Einstellungsverfügung, a.a.O., E. 1). In der Einstellungsverfügung werden grössere Bargeldbeträge (darunter Fr. 401’500.– aus Tresor und Fr. 133’000.–, vgl. kant. Akten, act. 359/6 S. 2), sowie mehrere Kontoguthaben und verschiedene (Wert-) Gegenstände eingezogen (vgl. Einstellungsverfügung, a.a.O., E. 4). Zudem wird davon Vormerk genommen, dass D. mit der Einziehung einverstanden sei (vgl. Einstellungsverfügung, a.a.O., E. 4).
Bei den kantonalen Akten befindet sich schliesslich ein nicht unterzeichnetes Schreiben vom 23. August 2013 von D. an die damalige Staatsanwältin. D. bedankt sich darin bei der Staatsanwältin, dass sie sich kurzfristig Zeit genommen habe, um sein Anliegen bzgl. G. AG bzw. betreffend die Beschwerdeführerin zu besprechen, welches er in der Folge im Schreiben und in der Beilage nochmals ausführlich schildert. Abschliessend erwähnt D. , die bevorstehende Gerichtsverhandlung von Oktober 2013 werde in vielen Anklagepunkten “im Zweifel für den Angeklagten” enden, ausser sie (die Staatsanwältin) ergänze ihre Anklageschrift wie besprochen und dann sei er nach Absprache bereit, gegen die Beschwerdeführerin als Zeuge auszusagen (kant. Akten, act. 229/5 und 359/3) [E. 10.3.4].
Einige Erwägungen sind von Interesse über den Fall hinaus, so etwa die Frage der Verwertbarkeit von grundsätzlich unverwertbaren Beweisen zugunsten der beschuldigten Person (vgl. dazu E. 14). Hier schliesst sich das Bundesgericht der Lehre an.
Aus der von der Vorinstanz zitierten Bestimmung von Art. 141 Abs. 2 StPO ergibt sich vorliegend daher von vornherein kein Verwertungsverbot, da die Beschwerdeführerin selber die fraglichen Beweise zu ihrer Entlastung anruft. Zu beurteilen sind nicht Beweismittel, welche von privaten Dritten (illegal) erhoben und zulasten der beschuldigten Person verwertet werden sollen, sondern Beweismittel, welche die beschuldigte Person selber zu ihrer Entlastung unter Verletzung der Privatsphäre Dritter gewonnen hat. Fehl geht damit auch das Argument der Vorinstanz, der Beweis hätte angesichts des Zeitpunkts des Telefongesprächs von der Staatsanwaltschaft mittels einer Telefonüberwachung nicht erhoben werden können.
Die Vorinstanz begründet die Unverwertbarkeit weiter zu Unrecht mit dem u.a. in Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Anspruch auf ein faires Verfahren. Der Anspruch auf ein faires Verfahren schützt weder den Staat noch allfällige Zeugen, sondern in erster Linie die beschuldigte Person. D. ist im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin blosser Belastungszeuge im weiteren Sinne. Als solcher hat er keine Parteistellung. Ebenso wenig verfügt der Privatkläger C. über ein berechtigtes Interesse an der Unverwertbarkeit der Gesprächsaufzeichnungen, da sein Geheim- oder Privatbereich dadurch nicht tangiert wurde (E. 14.4.4).
Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Wieso wurde die Staatsanwaltschaft nicht in den Ausstand gestellt?!
Sie wurde auch vom Bundesgericht geschützt, welches den Vorwurf der Staatsanwältin im ersten Telefonüberwachungsgesuch vom 5.3.10, es sei erstellt, dass die BFin zusammen mit anderen seit Jahren dem Drogenhandel nachgehe, nicht als Verleumdung taxierte, da der AK ja in diesem frühen Verfahrensstadium klar gewesen sei, dass das noch nicht zutreffen könne: 1C_661/2013 (die AK bewilligte das Gesuch, dieses Verfahren wurde nach drei Jahren eingestellt, weil es keine Anhaltspunkte für Drogenhandel gab). – Auch dass die Staatsanwältin in jenem Gesuch der BFin Vorstrafen wegen Betrugs unterstellte, ebenso eine glatte Lüge (sie hat bis heute keine Vorstrafen), und das ganze Gesuch mit weiteren Unwahrheiten frisiert war, reichte nicht für den Ausstand, welcher mehrfach beantragt wurde. Hauptsächlich die III. SK und die STA I schützten die Staatsanwältin mit abstrusesten Theorien (die aber dann doch mit 60 den Dienst quittierte oder entlassen wurde).