Erster FIFA-Auslieferungsentscheid des Bundesgerichts

Das Bundesgericht weist die Beschwerde eines nicaraguanischen FIFA-Funktionärs gegen die Auslieferung an die USA ab (BGE 1C_143/2016 vom 02.05.2016, Publikation in der AS vorgesehen). Der Beschwerdeführer wollte verhindern, an die USA statt an Nicaragua, das ebenfalls um Auslieferung ersucht hatte, überstellt zu werden.

Das Bundesgericht gibt der Auslieferung an die USA den Vorrang. Sie waren schneller und die Gründe für eine Auslieferung an die USA sind sachlicher Natur:

Nach dem Gesagten (E. 6.3) weisen die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Handlungen enge Bezugspunkte zum Staatsgebiet der USA auf. Die Strafverfolgungsbehörden der USA ermitteln nicht nur gegen den Beschwerdeführer, sondern zahlreiche weitere Fussballfunktionäre und deren Gehilfen wegen der Annahme von Bestechungsgeldern von der B. Inc. Die Behörden der USA können somit bei Auslieferung des Beschwerdeführers an sie insoweit eine Gesamtbeurteilung vornehmen. Dies gewährleistet eine rechtsgleiche Behandlung der Beschuldigten, sei dies bei der Sachverhaltsfeststellung, der rechtlichen Würdigung oder der Strafzumessung. Da die B. Inc. den Sitz in den Vereinigten Staaten hat, ist zudem davon auszugehen, dass sich dort wesentliche Beweismittel, insbesondere Zeugen, befinden. Nicaragua liefert keine eigenen Staatsangehörigen aus (Art. 43 der Verfassung von 1987). Der Beschwerdeführer stellt das nicht in Frage. Bei seiner Auslieferung an Nicaragua wäre seine Weiterlieferung an die USA somit nicht möglich. Umgekehrt besteht die Möglichkeit der Weiterlieferung an Nicaragua bei einer Auslieferung an die USA. Gemäss Art. 1 Ziff. 1 AVUS haben sich die Schweiz und die USA gegenseitig verpflichtet, gemäss den – hier erfüllten – Bestimmungen dieses Vertrages einander Personen auszuliefern, welche die zuständigen Behörden des ersuchenden Staates wegen einer auslieferungsfähigen Straftat verfolgen. Art. 44 UNCAC, welcher die Auslieferung regelt, enthält keine Art. 1 Ziff. 1 AVUS entsprechende ausdrückliche Auslieferungsverpflichtung Das Auslieferungsersuchen der USA ging in der Schweiz zudem vor jenem von Nicaragua ein.

Alle diese Gesichtspunkte, welche gesamthaft ins Gewicht fallen, sprechen für den Vorrang des Auslieferungsersuchens der USA. Zwar gibt es auch Umstände, die den Vorrang des nicaraguanischen Auslieferungsersuchens nahelegen. So handelt es sich beim angeblich Geschädigten um den nicaraguanischen Fussballverband FENIFUT. Der Beschwerdeführer ist zudem nicaraguanischer Staatsangehöriger und seine soziale Wiedereingliederung könnte in seinem Heimatland im Falle einer Verurteilung wohl besser gewährleistet werden, obschon er vor seiner Verhaftung nicht mehr dort, sondern in Panama wohnte. Wenn das BJ unter den dargelegten Umständen dem Auslieferungsersuchen der USA den Vorrang gegeben hat, hat es den ihm zustehenden weiten Ermessensspielraum jedoch nicht überschritten. Sein Entscheid beruht auf sachlichen Gründen und ist haltbar (E. 7.4).

Publikationswürdig ist der Fall vielleicht wegen der Feststellung, der Beschwerde komme auch bei Auslieferungsstreitigkeiten aufschiebende Wirkung zu (Art. 103 Abs. 2 lit. c BGG):

Es entstünde ein gesetzlicher Wertungswiderspruch, wenn lediglich die Beschwerde gegen eine Verfügung aufschiebende Wirkung hätte, welche die Übermittlung von Auskünften aus dem Geheimbereich oder die Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten bewilligt, nicht aber die Beschwerde gegen einen Entscheid, der die Auslieferung bewilligt. Die Auslieferung stellt den schwereren Eingriff dar. Daher muss hier die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen erst recht gegeben sein. Nach dem Sinn und Zweck von Art. 103 Abs. 2 lit. c BGG sollen Auskünfte aus dem Geheimbereich sowie Gegenstände und Vermögenswerte erst dann an den ersuchenden Staat herausgegeben werden, wenn endgültig feststeht, dass Rechtshilfe gewährt wird. Bei Personen kann nichts anderes gelten (…) [E. 8.2].

Zur gegenseitigen Strafbarkeit als Voraussetzung der Rechtshilfe:

Gemäss Art. 23 Abs. 1 UWG wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb nach Art. 3, 4, 4a, 5 oder 6 begeht. Art. 4a UWG erfasst die Privatbestechung, und zwar Abs. 1 lit. a die aktive und Abs. 1 lit. b die passive Bestechung (…). Gemäss Art. 4a Abs. 1 lit. b UWG handelt unlauter, wer als Arbeitnehmer, als Gesellschafter, als Beauftragter oder als andere Hilfsperson eines Dritten im privaten Sektor im Zusammenhang mit seiner dienstlichen oder geschäftlichen Tätigkeit für eine pflichtwidrige oder eine im Ermessen stehende Handlung oder Unterlassung für sich oder einen Dritten einen nicht gebührenden Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Wie die Vorinstanzen zutreffend annehmen, fällt das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten prima facie unter den Tatbestand der passiven Privatbestechung nach Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 4a Abs. 1 lit. b UWG. Der Beschwerdeführer stellt das nicht in Frage. Dabei handelt es sich um ein Antragsdelikt. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist das Erfordernis eines Strafantrags bei der Beurteilung der Strafbarkeit nach schweizerischem Recht unbeachtlich (Urteile 1A.215/2000 vom 16. Oktober 2000 E. 4c/aa; 1A.154/1995 vom 27. September 1995 E. 5b; ebenso Urteil des Bundesstrafgerichts RR.2012.201 vom 3. April 2013 E. 5.5.2) [E. 5.3].

Spannend ist vielleicht noch, aus welchen Gründen das Bundesgericht trotz Art. 84 BGG überhaupt auf die Beschwerde eintrat:

Wie sich aus dem Wort “insbesondere” ergibt, umschreibt Art. 84 Abs. 2 BGG den besonders bedeutenden Fall nicht abschliessend. Ein solcher kann auch angenommen werden, wenn sich eine rechtliche Grundsatzfrage stellt, die Vorinstanz von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist oder der Angelegenheit sonst wie eine aussergewöhnliche Tragweite zukommt (BGE 139 II 404 E. 1.3 S. 410; 139 IV 294 E. 1.1 S. 297; 133 IV 125 E. 1.4 S. 129).
Nebst dem Beschwerdeführer wurden in der Schweiz weitere FIFA-Funktionäre verhaftet. Die Angelegenheit hat die FIFA, den grössten Weltsportverband, stark erschüttert. Die Medien bringen der Sache weltweit Interesse entgegen. Auch die USA messen ihr, wie das persönliche Engagement der dortigen Justizministerin zeigt, erhebliches Gewicht zu. Die Angelegenheit kann sich deshalb auf die Beziehungen der Schweiz zu den USA auswirken; ebenso zu Nicaragua.
Der vorliegende ist der erste die Auslieferung eines in der Schweiz verhafteten FIFA-Funktionärs betreffende Fall, mit dem sich das Bundesgericht inhaltlich zu befassen hat. Ein anderer FIFA-Funktionär zog seine Beschwerde vor dem bundesgerichtlichen Entscheid zurück, weshalb sie der Einzelrichter vom Geschäftsverzeichnis abschrieb (Verfügung 1C_66/2016 vom 29. Februar 2016).
Unter den dargelegten Umständen rechtfertigt es sich, dass das Bundesgericht als oberste rechtsprechende Behörde des Bundes (Art. 188 Abs. 1 BV) die Sache letztinstanzlich verantwortet. Die besondere Bedeutung des Falles nach Art. 84 BGG ist zu bejahen (E. 1.3).