Erstinstanzlicher Freispruch verhindert Verjährungseintritt nicht
In einem neuen, zur BGE-Publikation (BGer 6B_686/2008 vom 16.10.2008) vorgesehenen Entscheid klärt das Bundesgericht u.a. die Frage, ob unter einem erstinstanzlichen Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB nur Verurteilungen zu verstehen sind, oder ob auch ein erstinstanzlicher Freispruch zur Folge hat, dass die Verjährung nicht mehr eintreten kann. Es entscheidet sich zu Recht für Letzteres:
Neurechtlich verjähren Vergehen in 7 Jahren (Art. 97 Abs. 1 lit. c StGB), wobei die Verjährung nicht mehr unterbrochen und nach dem erstinstanzlichen Urteil nicht mehr eintreten kann (Art. 97 Abs. 1 lit. c StGB [recte: Art. 97 Abs. 3]). Fraglich ist, ob darunter nur Verurteilungen zu verstehen sind oder auch Freisprüche und Verfahrenseinstellungen. Der Wortlaut lässt beides zu. Die Verjährung bezweckt aus verschiedenen prozessualen und materiell-strafrechtlichen Gründen, die Strafverfolgung nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne einzustellen. Mit einem Freispruch wird festgestellt, dass der Angeklagte wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht verurteilt werden kann. Es widerspräche jeder Logik, an diese Feststellung die Rechtsfolge zu knüpfen, dass der Freigesprochene wegen eben dieser Vorwürfe zeitlich unbegrenzt weiter verfolgt werden kann, weil die beurteilte Straftat nicht mehr verjährt. Unter “erstinstanzlichen Urteilen” im Sinne von Art. 97 Abs. 3 und Art. 333 Abs. 6 lit. d StGB sind daher ausschliesslich verurteilende Erkenntnisse zu verstehen.
Verjährt die Straftat zwischen erst- und zweitinstanzlichem Urteil, so kann der erstinstanzlich Verurteilte nicht von der Verjährung profitieren, der erstinstanzlich Freigesprochene hingegen schon, selbst wenn er die Straftat tatsächlich begangen hat.
Dies widerspiegelt die innere Einstellung vieler Richter, dass ein erstinstanzlich Verurteilter tatsächlich schuldig sein muss. Damit gilt die Unschuldsvermutung faktisch nur noch für den erstinstanzlich Freigesprochenen, was eine unzulässige Ungleichbehandlung darstellt.
Ausserdem kann diese Rechtsprechung das erstinstanzliche Urteil beeinflussen, weil durch eine Verurteilung die Verjährung ausgehebelt wird. Ein Gericht dürfte also im Zweifelsfall zur Verurteilung neigen, statt freizusprechen.
Viel interessanter scheint mir hier der Rest des Urteils zu sein. Das Bundesgericht schliesst sich offenbar den Ausführungen der Zollverwaltung an, wonach die Verjährung bis zum 17. November 2005, dem abschliessenden Entscheid über die Leistungspflicht des D. geruht haben soll (2.2). In der Historie des Verfahrens wird aber nirgends der 17.11.2005 erwähnt, bloss der 17.11.2004 als Enddatum des Verfahrens über die Leistungspflicht des C. Dieses Enddatum würde denn auch eher zu der ebenfalls genannten Ruhefrist von 2 3/4 Jahren passen. Es stellt sich, sollte das Datum bei 2.2 ein Schreibfehler sein, aber sogleich die nächste Frage: Weshalb soll die Verjährung während dem Verfahren des C. geruht haben, nicht aber während dem offenbar längeren Verfahren des D? Nur weil dessen Angelegenheit durch verwaltungsstrafrechtlichen Entscheid der Zollverwaltung erledigt werden konnte? Widerspricht dies nicht der Schlussfolgerung des Bundesgerichts, dass die Verjährung von in gleicher Sache Beteiligten auch gleich lange ruhen soll (3.3)?
Schlägt man überdies die vom Bundesgericht genannten Materialien nach (3.2), so findet sich dort keine einzige Angabe welche bestätigen würde, dass ein früherer Art. 110 Abs. 2 aZG konkret in Art. 11 Abs. 3 VStrR überführt worden wäre. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber zuletzt das Ruhen der Verfolgungsverjährung abgeschafft hat, wäre zu dieser offenbar doch noch bestehenden Ausnahme ein höchstrichterlicher Entscheid wünschenswert gewesen, der sich nicht auf unterlagenwidrige und damit nicht überprüfbare Behauptungen abstützen muss.
Dafür dass das Bundesgericht hier den Entscheid von zwei kantonalen Instanzen umgestossen hat, scheint mir dieses Urteil äusserst dürftig begründet. Jedenfalls bleibt der schale Beigeschmack, dass hier in erster Linie ergebnisorientiert die Zollverwaltung mit ihren endlosen Verfahren protektioniert werden sollte. Wie oft unterlag die Zollverwaltung eigentlich in den vergangenen Jahren vor Bundesgericht? Wenn ich mich recht entsinne, nie. Kann man tatsächlich so gut sein?