Ethik der Strafverteidigung

Auf die Frage, wieso er nicht Staatsanwalt oder Strafverteidiger wurde, hat sich ein ehemaliger Oberrichter und Präsident einer Strafkammer wie folgt geäussert:

Als Richter sucht man die Wahrheit. Das hat mich immer schon fasziniert. Und man darf und muss Urteile fällen, was besonders herausfordernd ist. Ein Verteidiger muss einseitig die Interessen seiner
Klienten vertreten. Die Wahrheitsfindung tritt in den Hintergrund. Ich hätte grosse Mühe und ethische Bedenken, einen Beschuldigten effizient zu verteidigen, wenn er freigesprochen werden will, ich aber von seiner Schuld überzeugt bin. Die Tätigkeit einer Staatsanwältin wäre mir zu einseitig. Sie ist Anklägerin und vor allem auch Untersuchungsrichterin. Sie muss also sehr viele Einvernahmen durchführen und dabei den gleichen Personen zum Teil immer wieder dieselben Fragen stellen.

Das Magazin, N0 14/2024. 18 (Hervorhebungen durch mich)

Der Strafrichter hätte ethische Bedenken, als Strafverteidiger das zu tun, was ihm das Gesetz in Art. 128 StPO vorschreibt? Abgesehen davon bringt er damit zum Ausdruck, dass er die Funktion der Strafverteidigung nie verstanden hat, obwohl (oder weil?) er über 20 Jahre lang einem Obergericht angehörte.

Geirrt hat der Richter gemäss einer anderen Aussage im selben Interview vermutlich nie:

Ich glaube aber nicht, dass ich an einem eigentlichen Justizirrtum beteiligt war.

Gottseidank!