Exzessive Formstrenge in Luzern
Die I. Öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hebt einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern als willkürlich auf, das auf eine Appellation wegen verspäteten Erscheinens des Appellanten und seines Anwalts nicht eingetreten ist (BGE 1P.853/2005 vom 3.03.2006). Der pünktliche Beginn einer Gerichtsverhandlung biete Gewähr für einen ordentlichen Gang der Rechtspflege und sei auch zur Einhaltung des Beschleunigungsgebots (wenn nützlich wird es offenbar auch gegen den Beschuldigten angewendet) erforderlich. Diese Begründung konnte das Bundesgericht freilich nicht überzeugen:
Vorliegend hätte das Obergericht die Möglichkeit gehabt, die Appellationsverhandlung nach Ablauf der Respektviertelstunde abzubrechen und sich mit einer anderen Rechtssache zu befassen. Stattdessen nahm das Gericht mit dem Verteidiger telefonisch Kontakt auf, wartete, bis dieser und der Beschwerdeführer eintrafen, und führte darauf eine kontradiktorischeVerhandlung über die Verfahrensabschreibung durch. Unter diesen Umständen die Appellation wegen Nichterscheinens des Appellanten als dahingefallen zu erklären, ist durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt. Anstelle der Durchführung einer kontradiktorischen Verhandlung über dieVerfahrensabschreibung hätte das Obergericht ohne weiteres sogleich die Appellationsverhandlung abhalten können. Der Gang der Rechtspflege wäre dadurch nicht gestört worden. Daher ist das Verbot des überspitzten Formalismus hier durch die Anwendung von § 242 Abs. 1 StPO/LU verletzt worden (E. 1.5).