Fahrgast oder Mitglied der Besatzung?
Das Bundesgericht schützt die Verurteilung eines Lastwagenfahrers, der bei einem Gefahrengütertransport seinen elfjährigen Sohn an Bord hatte (BGer 6B_372/2010 vom 02.07.2010).
Die Verurteilung basierte auf einem (in der AS nicht publizierten) Anhang zum Europäischen Übereinkommen vom 30.09.1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (ADR; SR 0.741.621) und auf der Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (SDR; SR 741.621). Strittig war, ob der Sohn als Fahrgast oder als Mitglied der Besatzung zu betrachten war. Unbestritten war immerhin, dass die Aufgabe des Sohnes darin bestanden habe, beim Einweisen des Fahrzeugs zu helfen sowie gewisse Kabel einzustecken.
Das Übereinkommen definiert den Begriff des Mitglieds der Besatzung in einem Anhang wie folgt:
Mitglied der Fahrzeugbesatzung ist der Fahrer oder jede andere Person, die den Fahrer aus Sicherheits-, Sicherungs-, Ausbildungs- oder Betriebsgründen begleitet (Anlage A, Ziffer 1.2.1, Hervorhebung durch mich).
Daraus könnte man zwanglos schliessen, dass der Sohn aus mindestens einem dieser Gründe an Bord war. Das genügte der Vorinstanz und dem Bundesgericht aber nicht:
Die Vorinstanz spricht dem Sohn des Beschwerdeführers die Fähigkeit ab, Notfallmassnahmen richtig auszuführen. Diesen Schluss zieht sie nicht auf Grund einer konkreten Beweiswürdigung. Vielmehr stützt sie sich implizit auf einen aus der allgemeinen Lebenserfahrung gewonnenen Erfahrungssatz. Inwiefern diese Schlussfolgerung bundesrechtswidrig sein sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Es steht ausser Frage, dass ein 11-jähriges Kind die obgenannten Massnahmen, wie z.B. den Einsatz eines Feuerlöschers (der in aller Regel in einer Hand getragen werden muss, während mit der anderen Hand der Schlauch bedient wird) oder die Alarmierung und Information der Einsatzkräfte, nicht adäquat vornehmen kann. Dies gilt umso mehr, wenn in einem solchen Notfall ein mit Treibstoff beladener Sattelschlepper involviert ist. Deshalb verletzt die Annahme der Vorinstanz, wonach ein 11-jähriges Kind in einer entsprechenden Situation physisch und psychisch überfordert wäre, kein Bundesrecht (E. 2.4.3).
Das heisst im Ergebnis, dass zur Besatzung nur gehören kann, wer alle möglichen Aufgaben adäquat vornehmen kann, was kaum im Sinne der Parteien des Übereinkommens sein kann. Die fragliche Strafbestimmung ist übrigens Art. 21 lit. c SDR), die allzu bestimmt nicht formuliert ist. Sie stellt unter Strafe, u.a. wer
das Verbot der Beförderung von Personen … missachtet.
Unglaublich, dass der Beschwerdeführer den in der AS nicht publizierten Anhang nicht gekannt hat oder die fragliche Begriffsdefinition grammatikalisch ausgelegt hat. Der Mann wurde zu Recht bestraft, allerdings mit CHF 100.00 viel zu milde! Auch die Kosten, die insgesamt ca. CHF 20,000.00 betragen dürften, machen das Urteil nicht angemessener.
Ich meine da Ironie herauslesen zu können. Ich bin mir aber nicht ganz sicher. Es ist immer schwer Ironie in einem Text zu erkennen. Jedoch war der Fall nur kompliziert genug für CHF 2’000.-.