Fahrlässige Körperverletzung nach Gleitschirmunfall?
Das Bundesstrafgericht verurteilt einen angehenden Tandem-Gleitschirmpiloten, weil er anlässlich eines Prüfungsflugs beim Landeanflug zu stark gebremst hatte, was zu einem Strömungsabriss und zum “Absturz” aus 8 Metern Höhe führte (BStGer SK.2019.67 vom 30.06.2020). Das Urteil stellt die Anklage wie folgt dar:
Die BA wirft dem Beschuldigten vor, den Absturz bzw. Unfall vom 25. August 2017 verursacht zu haben, indem er im Queranflug an beiden Bremsleinen ziehend bereits stark abgebremst und daraufhin die Linkskurve vom Quer- in den Landeanflug mit einem noch stärkeren Zug an der linken Bremsleine eingeleitet habe. Aufgrund der zu geringen Geschwindigkeit sei es zu einem Strömungsabriss gekommen, was zum einseitigen Einklappen des Schirms und schliesslich zum Absturz geführt habe. Dabei sei es für den Beschuldigten vorhersehbar gewesen, dass ein solch sorgfaltspflichtwidriges Handeln zu einem Strömungsabriss führen und bei einer derart geringen Flughöhe vom Gleitschirm nicht mehr rechtzeitig abgefangen werden könne. Der Unfall und damit auch die Verletzungen des Privatklägers B. wären vermeidbar gewesen, wenn der Beschuldigte seinem Können entsprechend die Landung eingeleitet hätte, indem er den Gleitschirm weniger stark abgebremst und weniger heftig an der linken Leine gezogen hätte. Auf diese Weise hätte der Beschuldigte den Gleitschirm in den Landeanflug bringen können ohne einen Strömungsabriss und den anschliessenden Absturz zu verursachen.
Diese Anklage kann m.E. gar nicht zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung führen. Aber wir werden ja dann sehen, was aus der Berufung wird.
Welches Element fehlt Ihres Erachtens denn in der Umschreibung?
Da müsste man wohl die Original-Anklageschrift kennen. Aber bei der momentanen Praxis des BGer. ist das Anklageprinzip (leider) praktisch nie verletzt.
Das Urteil zitiert ja den Teil der Anklage, der als massgeblich erscheint. Fehlt da nicht die angeblich verletzte Sorgfaltsnorm?
Ich denke, das wird wohl irgendeine Bestimmung im LFG sein, die der Sorgfaltsbestimmung im SVG ähnelt (man muss seinen Gleitschirm wohl zu jeder Zeit im Griff haben).. Muss man den benennen, was sich klar aus dem Gesetz ergibt? m.E. ist es klar.
@HP Seipp: Ihr Beitrag belegt, dass man es benennen muss.
Ob man es benennen muss, habe ich nicht gesagt. Ich stelle lediglich in Frage, wie weit der Anklagegrundsatz gehen sollte. Zentral ist doch, dass der Beschuldigte weiss, was ihm vorgeworfen wird. Das erfüllt der skizzierte Sachverhalt meines Erachtens. Darüberhinaus weitere Ausführungen zur Sorgfaltsnorm zu verlangen, grenzt für mich an überspitzen Formalismus. Zumal ist die rechtliche Würdigung des Sachverhalts (und somit auch, ob und falls ja, welche Sorgfaltsnorm verletzt wurde) ohnehin Sache des Gerichts.
@HP Seipp: wären Sie beschuldigt, würde es Sie nicht interessieren, welche Regel sie verletzt haben sollen? Wie würden Sie sich denn verteidigen? Einfach Gefahrensatz oder was?
Ok, Sie haben mich überzeugt 😉
@kj. Ich denke, der vorwurf ist klar. Er hat nicht sachgerecht gebremst bei der landung. Natürlich muss dieser vorwurf an irgendeine gleitschirmfliegregel geknüpft werden können, das ändert aber nichts daran, dass der vorwurf erkennbar ist. Mögliche verteidigung wäre bspw. zu sagen, das bremsmanöver habe dem entsprochen, was man üblicherweise mache, anderes sei nicht nachgewiesen.