Falsch verstandene antizipierte Beweiswürdigung

Das Bundesgericht schützt die Abweisung von Beweisanträgen aufgrund antizipierter Beweiswürdigung (BGer 6B_1090/2018 vom 17.01.2019).

Über die Zulässigkeit der antizipierten Beweiswürdigung äussert sich das Bundesgericht wie folgt:

Beim Verzicht auf weitere Beweisabnahmen muss die Strafbehörde das vorläufige Beweisergebnis hypothetisch um die Fakten des Beweisantrags ergänzen und würdigen. Die Ablehnung des Beweisantrags ist zulässig, wenn die zu beweisende Tatsache nach dieser Würdigung als unerheblich, offenkundig der Strafbehörde bekannt oder bereits als rechtsgenügend erwiesen anzusehen ist. Lehnt die Strafbehörde den Beweisantrag ab, hat sie nicht nur darzulegen, weshalb sie aufgrund der bereits abgenommenen Beweise eine bestimmte Überzeugung gewonnen hat, sondern auch, weshalb die beantragte Beweismassnahme aus ihrer Sicht nichts an ihrer Überzeugung zu ändern vermag (Urteile 6B_479/2016 vom 29. Juli 2016 E. 1.4 und 6B_644/2014 vom 28. Januar 2015 E. 3.1 mit Hinweis) [E. 3.2, Hervorhebungen durch mich]. 

Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, kann aber m.E. nicht richtig sein. Unter welchen Umständen die antizipierte Beweiswürdigung zulässig ist, regelt Art. 139 Abs. 2 StPO. Diese Bestimmung beschränkt sich auf objektiv bereits festgestellte oder feststellbare Tatsachen und eben gerade nicht auf subjektiv zu erwartende. Ein Entlastungsbeweis des Beschuldigten darf m.E. ausser in den Fällen von Art. 139 Abs. 2 StPO nur abgewiesen werden, wenn die zu beweisende entlastende Behauptung als wahr behandelt wird. Alles andere schwächt das ohnehin schon schwache Beweisantragsrecht zusätzlich und ohne gesetzliche Grundlage. Schön herausgearbeitet wird das etwa bei Ruckstuhl (Ruckstuhl/Dittmann/Arnold, Strafprozessrecht, Zürich 2011, N 427) und Gless (BSK StPO, Art. 139 N 49).

Mit der Lehre setzt sich das Bundesgericht freilich nicht auseinander und kommt dann mit Hilfe der Willkürkeule im konkreten Anwendungsfall zu folgender Schlussfolgerung:


Die Vorinstanz führt aus, alle vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen könnten nichts aus eigener Wahrnehmung zu den angeklagten Vorfällen aussagen. Sie könnten zu Gunsten des Beschwerdeführers höchstens bestätigen, dass sie selbst keine Übergriffe gesehen hätten. Da sich häusliche Gewalt typischerweise in Abwesenheit von Drittpersonen abspiele, würde die Befragung der beantragten Zeugen das Beweisergebnis nicht beeinflussen. Dies gelte auch für die Auskünfte zu den Beziehungsproblemen des Ehepaars. Dass es solche gab, sei unbestritten, doch seien diesbezügliche Aussagen von Drittpersonen nicht geeignet, den Beschwerdeführer zu entlasten. Inwiefern die Vorinstanz durch den Verzicht auf die Zeugeneinvernahmen eine willkürliche antizipierte Beweiswürdigung hätte vorgenommen haben sollen, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf. Unter den gegebenen Umständen stellt der Verzicht der Vorinstanz auf die beantragten Zeugenbefragungen keine unzulässige antizipierte Beweiswürdigung dar und verletzt nicht Bundesrecht (E. 3.3, Hervorhebungen durch mich.

Nur am Rande: Antizipierte Beweiswürdigung kann nicht gleichzeitig willkürlich sein. Sie kann nur zulässig oder unzulässig sein. Die Zulässigkeit ergibt sich aus Art. 139 Abs. 2 StPO. Alles andere ist unzulässig, solange es nicht zu Gunsten des Beschuldigten behandelt wird (Art. 10 StPO).