(Fast) jeder Widerstand ist strafbar
In 6B_113/2007 vom 16.08.2007 hatte sich das Bundesgericht in Fünferbesetzung mit folgendem Kriminalfall auseinanderzusetzen:
X. parkierte am 14. Mai 2004 gegen 11.00 Uhr ihren Personenwagen gegenüber der Liegenschaft in Zumikon in einem zu markierenden und mit temporären Parkverbotstafeln versehenen Bereich. Dies tat sie im Wissen darum, dass der Gemeinderat am 10. Mai 2004 beschlossen hatte, an dieser Stelle weisse Parkfelder anzubringen. Zudem sah sie, dass die Markierung bereits im Gang war. Der persönlichen Aufforderung durch einen Mitarbeiter der von der Gemeinde mit den Markierungsarbeiten beauftragten Unternehmung, ihr Fahrzeug wegzustellen, kam X. ebenso wenig nach wie der gleichlautenden telefonischen Anweisung eines Gemeindepolizisten. Die Markierung konnte deshalb an diesem Tag nicht fertig gestellt werden.
X. wurde wegen Hinderung einer Amtshandlung (Art. 286 StGB) zu einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu CHF 50.00 verurteilt. Das Bundesgericht wies ihre Beschwerde mit sehr aufwändiger Begründung ab. Die einzige wirklich interessante Frage des Falls, die wohl auch die Fünferbesetzung begründet, prüfte das Bundesgericht dann letztlich nicht:
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 285 f. StGB ist eine Widersetzung gegen Amtshandlungen einzig zulässig, wenn deren Widerrechtlichkeit offensichtlich ist, Rechtsmittel keinen wirksamen Schutz erwarten lassen und der Widerstand der Bewahrung oder Wiederherstellung des rechtsmässigen Zustands dient (BGE 98 IV 41 E. 4b). In der Lehre wird der vom Bundesgericht verlangte Gesichtspunkt der voraussichtlichen Unwirksamkeit allfälliger Rechtsmittel kritisiert und die vollumfängliche Übernahme der im öffentlichen Recht geltenden Regeln in die Praxis zu Art. 286 StGB gefordert (…). Wie es sich hiermit im Einzelnen verhält, kann offen bleiben, da vorliegend die Nichtigkeit der in Frage stehenden Amtshandlung sowohl nach der Evidenztheorie als auch nach den vom Bundesgericht im Strafrecht entwickelten Kriterien zu verneinen ist (E. 2.5).
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der Gemeinderatsbeschluss nicht nichtig war und bejahte den objektiven Tatbestand von Art. 286 StGB.
Subjektiv wurde der Beschwerdeführerin ihr eigenes Argument zum Verhängnis. Sie liess nämlich geltend machen, sie sei zumindest sinngemäss davon ausgegangen, die Markierungsarbeiten erfolgten nicht rechtmässig. Dieses Argument mache gemäss Bundesgericht deutlich, dass die Beschwerdeführerin die gemeinderätliche Anordnung zwar als unrechtmässig, nicht jedoch als absolut unwirksam erachtete. Das erscheint nun aber doch als reichlich wortklauberisch und als logisch falsch, weil doch auch eine nichtige Anordnung unrechtmässig ist. Das Bundesgericht erklärt dann noch, welches Argument die Beschwerdeführerin hätte vortragen müssen:
Die Beschwerdeführerin stufte den Gemeinderatsbeschluss – zu Recht – als fehlerbehaftet ein. Dies genügt jedoch für sich allein genommen zur Annahme eines den Vorsatz ausschliessenden Sachverhaltsirrtums nicht. Vielmehr hätte die Beschwerdeführerin überdies annehmen müssen, die Amtshandlung sei mit einem solch offensichtlich schwerwiegenden Mangel behaftet, dass diese keinerlei Rechtswirkungen entfalte und sich folglich eine Anfechtung erübrige (E. 3.3).
Ich will den Entscheid gar nicht kritisieren. Aber hat es ein Land wie die Schweiz wirklich nötig, praktisch jeden Widerstand – darauf läuft Art. 286 StGB ja letztlich hinaus – zu kriminalisieren?
Der Entscheid (wie die bisherige Bundesgerichtspraxis dazu) leidet an gewissen grundlegenden Überlegungsfehlern. Die ‚Parkplatzzeichner‘ sind (vereinfacht gesagt) ohne rechtliche Grundlage tätig geworden, dadurch fehlt es schon am Tatbestandsmerkmal der Amtshandlung – es kommt eben nicht, wie es das Bundesgericht vertritt, auf die Beamtenqualität der Ausführenden an, sondern auf die Handlung an sich. Da haben sie sich wohl vom Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte zu gewissen Fehlüberlegungen verleiten lassen.
Wer schliesslich über den dieser Handlung zugrundeliegenden Entscheid was wusste oder hätte annehmen dürfen oder müssen ist da eine nachgelagerte und vorliegend irrelevante Frage. Nicht der Entscheid der Gemeinde ist hier nichtig, sondern das tatsächliche verfrühte Beginnen der Arbeiten ist rechtlich nicht zulässig (was bei Realakten das Äquivalent zur Nichtigkeit sein dürfte). Gegen rechtlich nicht zulässiges Handeln einer Behörde muss man sich selbstverständlich im Rahmen der übrigen Rechtsordnung – also zumindest im Sinne des zivilen ‚Ungehorsams‘ (der ja eben de jure gar keiner ist) – wehren dürfen. Es gibt hierzu auch gewisse Präjudizien aus dem Parkierwesen der Stadt Zürich.
Interessant wäre vor diesem Hintergrund gewesen, ob sie sich trotzdem der Aufforderung des Gemeindepolizisten hätte wiedersetzen dürfen. – Ich meine nein, allerdings aus kantonalem Polizeirecht, nicht aus Art. 285 StGB.