Fehlerhafte Rechtsbelehrung
Im Rahmen der Abklärung eines migrationsrechtlichen Scheineheverdachts wurden als zentrale Beweismassnahmen die Ehegatten befragt. Bereits zuvor ergaben sich im Rahmen eines “Augenscheins” in der Wohnung Anhaltspunkte, welche die Schwelle des hinreichenden Tatverdachts (Art. 299 StPO i.V.m. Art. 118 AIG) überschritten. Aus diesem Grund hätten die Ehegatten nach den Vorschriften über Art. 158 f. StPO belehrt werden müssen (BGer 7B_254/2022 vom 08.02.2024):
Die dargestellten Vorgaben wurden vorliegend in verschiedener Hinsicht nicht eingehalten. Die Befragung kommt vielmehr als Mischform zwischen verwaltungsrechtlicher und strafprozessualer Beweiserhebung und dabei insbesondere auch zwischen verschiedenen Kategorien von einzuvernehmenden Personen daher. So wurde der Beschwerdeführer zwar korrekterweise darüber belehrt, dass er seine Aussage verweigern könne (Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO) und danach gefragt, ob er eine Übersetzung benötige (Art. 158 Abs. 1 lit. d StPO). Weiter wurde er darüber informiert, im Auftrag des MIKA betreffend Verdacht einer Scheinehe als Auskunftsperson befragt zu werden. Über den strafprozessualen Verdacht wegen Widerhandlung gegen das AIG wurde er hingegen, obwohl die Polizei korrekterweise von einem solchen hätte ausgehen müssen, nicht aufgeklärt. Damit waren bereits die Information über den Gegenstand der Befragung bzw. das Verfahren sowie die Rolle, in der der Beschwerdeführer befragt wurde respektive richtigerweise zu befragen gewesen wäre, fehlerhaft (Art. 143 Abs. 1 lit. b und Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO). Nebst dem wurde der Beschwerdeführer auch nicht über sein Recht auf einen Anwalt erster Stunde aufgeklärt (Art. 158 Abs. 1 lit. c und Art. 159 Abs. 1 StPO). Dies geschah erst später, nämlich nachdem der Beschwerdeführer ein Geständnis – für die Eheschliessung von seiner Ehefrau Fr. 20’000.– erhalten zu haben und die Ehe als Geschäft zu sehen, mit Liebe habe sie nichts zu tun – abgelegt hatte. Da er aber schon zu Beginn der Befragung als beschuldigte Person hätte behandelt und entsprechend belehrt werden müssen, ist die Einvernahme und insbesondere das Geständnis wegen einer Verletzung von Art. 158 Abs. 1 lit. a und c StPO nicht verwertbar (Art. 158 Abs. 2 StPO) [E. 2.7.2, Hervorhebungen durch mich].
Das Bundesgericht kassiert den Entscheid der Vorinstanz
Die “Regel”, dass der Anwalt des Beschuldigten während der Befragung des Staatsanwaltes bzw. des Strafrichters nicht für den Beschuldigten antworten darf oder ihm ein Zeichen geben darf, er solle darauf nicht antworten, ist hinlänglich bekannt.
Ich habe mich nun aber gefragt, wo und ob dies geregelt ist (Standesregeln und Anwaltsgesetz sagen m.E. nichts dazu) und ob und wie das im Zivilprozess allenfalls anders gehandhabt wird.
Grüsse
S.S.
@S.S.: Die Regel gibt es nicht und ich wüsste auch nicht, woraus sie abzuleiten wäre. Strafverteidigung muss wirksam sein und das ist sie nicht, wenn der Anwalt passiv zusehen müsste, wie sich sein Klient um Kopf und Kragen äussert. Der Anwalt darf jederzeit Eingaben machen (insb. auch mündliche). Er darf nach jeder Frage eine Unterbrechung beantragen. All das ist möglicherweise nicht klug, aber wenn der Klient schlecht vorbereitet oder nicht führbar ist, dann halt dreinreden und unterbrechen.
Dass der Anwalt nicht für seinen Klienten antworten darf ist hingegen schon klar (obwohl es in der Praxis durchaus auch vorkommt und teilweise von der VL sogar begrüsst wird). Er ist nicht die Person, die befragt wird.
Wie ist das eigentlich? Dürfen die Antwort oder sonstige Aussagen des Anwalts zur Sache ebenfalls gegen den Beschuldigten verwendet werden?
@Markus Trottmann: Kann ein Anwalt (ausser als Zeuge oder Auskunftsperson) überhaupt Aussagen machen, die als Beweis gelten können?
@kj: Meine Frage hängt u.a. mit dem Entscheid 6B_604/2022 zusammen, der mich noch heute beschäftigt:
In jenem Fall hat die Verteidigung im Hinblick auf die Geldwäscherei hinsichtlich der Vortat “Ungetreue Geschäftsbesorgung” beim Gang ans BGer bestritten, dass die Geschäftsführer der griechischen Versicherungsgesellschaft von den Beschuldigten einen Kickback für das von der geschädigten Versicherungsgesellschaft rechtswidrig bei ihnen angelegte Geld erhalten hätten (damit keine qualifizierte ungetreue Geschäftsbesorgung als Vortat, was für Geldwäscherei Voraussetzung wäre). Daraus hat das Bundesgericht messerscharf geschlossen, dass es diesfalls ein Betrug zum Nachteil der geschädigten Firma gewesen sein muss. Kann man die Bestreitung der Verteidigung gegen die Beschuldigten ins Feld führen?