Feuerlaufseminar: Straflose Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung
Anlässlich eines Feuerlaufseminars zog sich eine Seminarteilnehmerin im Jahr 2003 Verbrennungen zweiten Grades an den Fusssohlen zu. Die beiden Organisatorinnen des Seminars wurden von der Justiz des Kantons St. Gallen wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB) verurteilt. Eine der beiden zog dagegen erfolgreich ans Bundesgericht, das den Entscheid der Vorinstanz noch im altrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren kassiert (6S.91/2007 vom 06.12.2007 und 17.01.2008).
Die Seminarteilnehmerinnen hatten einen Haftungsausschluss unterzeichnet, wonach es keine „Garantie für die Sicherheit und Unversehrtheit während des Feuerlaufseminars“ gebe und wonach sie versicherten, „völlig freiwillig“ und „auf eigenes Risiko“ teilzunehmen. Im Weiteren verzichteten sie auf jede Art von Schadenersatzansprüchen für den Fall von Verletzungen und übernahmen die „volle Verantwortung“ für ihre Teilnahme. Daraus wollte die beschwerdeführende Organisatorin eine rechtfertigende Einwilligung ableiten. Das Bundesgericht folgt ihr darin nicht, weil die Teilnehmerinnen darauf vertrauten, beim Feuerlauf werde sich niemand die Füsse verbrennen.
Ein unlängst ergangener Entscheid stellt indessen klar, dass sich die Einwilligung beim vorsätzlichen Verletzungsdelikt sowohl auf die Tathandlung als auch auf den tatbestandsmässigen Erfolg beziehen müsste (BGE 131 IV 1 E. 3.1). Entsprechendes gilt auch für das Fahrlässigkeitsdelikt (E. 4.2).
Für die Bemessung der Sorgfaltspflicht nimmt das Bundesgericht eine Abgrenzung der Verantwortungsbereiche vor (BGE 125 IV 189; Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung / einverständliche Fremdgefährdung):
Die Abgrenzung erfolgt nach dem Kriterium der Tatherrschaft. Danach ist zu fragen, ob der Rechtsgutträger das Tatgeschehen derart beherrscht, dass er darin jederzeit und bis zuletzt steuernd einzugreifen vermag, oder aber das Gefährdungsgeschehen in den Händen des Dritten liegt (BGE 131 IV 1 E. 3.2). Entscheidend ist insoweit die Herrschaft über den letzten, unmittelbar zur Verletzung führenden Akt (…; E. 4.4).
Die Antwort lag m.E im konkreten Fall auf der Hand:
Im konkret zu beurteilenden Fall lag die Herrschaft über das unmittelbar zur Verletzung führende Geschehen bei der Klägerin (und jeder einzelnen Feuerläuferin), die „freiwillig und in grundsätzlicher Kenntnis der Verletzungsgefahr“ über die Glut ging. Entscheidend ist, dass es ihr bis zuletzt offen stand, von ihrem Entschluss Abstand zu nehmen und auf den riskanten Feuerlauf zu verzichten (E. 5.1).
Das Bundesgericht folgert, dass die eigenverantwortliche Selbstgefährdung nicht unter den Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts falle, was aber nicht unbeschränkt gelten dürfe (Willensmangelvorbehalt):
Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung findet ihre Grenze jedoch dort, wo der Veranlasser oder Förderer das Risiko kraft überlegenen Sachwissens besser erfasst (BGE 125 IV 189 E. 3a S. 194) oder erkennt, dass das Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt. In diesem Fall schafft er ein Risiko, das vom Willen des Opfers nicht mehr gedeckt und dessen Verwirklichung daher dem Mitwirkenden zuzurechnen ist (BGE 131 IV 1 E. 3.3 mit Hinweisen) (E. 4.5).
Für den konkreten Fall kommt das Bundesgericht zum Schluss, die Willensbildung sei nicht mangelhaft gewesen:
Die Erfahrung lehrt, dass man sich an glühender Kohle leicht verbrennt und Kühlung mit Wasser Linderung bringen kann. Das Risiko, sich beim Lauf über das (rund vier Meter lange) Glutbeet die Fusssohlen verbrennen zu können, war offensichtlich und ohne weiteres überschaubar. Zudem steht fest, dass die Klägerin über die Risiken des Feuerlaufs eingehend – mündlich und schriftlich – aufgeklärt worden ist, was sie durch Unterzeichnung des erwähnten Haftungsausschlusses bekräftigte. Unter diesen Umständen ist nicht zu erkennen, inwiefern sie die Tragweite ihres Entschlusses nicht überblickt hätte oder ihre Willensbildung sonstwie mangelhaft gewesen wäre (E. 5.2).