FinZ als (unwiderlegbarer) Beweis
Dass schriftliche Feststellungen der Polizei als Beweismittel gelten, sagt das Bundesgericht immer wieder und daran ist wohl trotz StPO nicht mehr zu rütteln. Was aber weiterhin nicht einleuchtet ist, dass solche Rapporte nicht nur als Beweismittel, sondern im Ergebnis regelmässig als Beweis für die darin behaupteten Tatsachen qualifiziert werden.
Das gilt nach einem heute publizierten Urteil des Bundesgerichts auch für die “FinZ-Sets”, die auch handschriftlich eingefügte Angaben enthalten, welche die beschuldigte Person oder Dritte gemacht haben sollen. Selbst wenn die Unterschrift verweigert wurde, darf gemäss Bundesgericht auf die Formulare abgestellt werden.
Das ist insofern praktisch, als es den Richter nicht mehr braucht, um den Sachverhalt festzustellen. Es reicht der Polizist, der auch auf Antrag (vorbehalten bleibt der Konfrontationsanspruch) nicht zu befragen ist. Antizipierte Beweiswürdigung scheint auch in diesem Bereich zulässig zu sein (BGer 6B_853/2023 vom 15.11.2023). Der Richter degradiert sich selbst zum Subsumptionsautomaten.
Beim sogenannten “FinZ-Set” handelt es sich um eine Kombination aus polizeilichem Rapport und polizeilicher Einvernahme. Das FinZ-Set stellt, gleich wie ein Polizeirapport, ein Beweismittel dar. Vorliegend wurde das FinZ-Set rund vier Stunden nach dem Vorfall im Spital U. erstellt. Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht aufgezeigt, dass Zweifel am Wahrheitsgehalt der vom Polizeibeamten im FinZ-Set protokollierten eigenen Wahrnehmungen bestehen würden, weshalb eine Befragung des Polizeibeamten unterbleiben konnte (vgl. 6B_1140/2014 vom 3. März 2016 E. 1.3). Das FinZ-Set enthält mitunter Angaben zur Rechtsbelehrung der Beschwerdeführerin, zur Anwesenheit und Rechtsbelehrung der Übersetzerin C., die Befragung der Beschwerdeführerin zur Alkoholeinnahme, Angaben betreffend Alkoholgehaltmessung etc. und schliesslich eine Zusatzbefragung zum Konsum von Alkohol. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass ihr von der Dolmetscherin der Inhalt des Berichts sowie die ihr gestellten Fragen und die von ihr gegebenen Antworten nicht übersetzt worden wären. Ohne das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin zu verletzen, durfte die Vorinstanz auf die Befragung von C. als Zeugin verzichten. Wie die Vorinstanz zu Recht erwägt, ändert an der Verwertbarkeit der Depositionen nichts, wenn die Beschwerdeführerin die Unterschrift auf dem Formular verweigerte (vgl. Urteil 6B_344/2013 vom 19. Juli 2013 E. 1.5). Im Übrigen machte die Beschwerdeführerin in den staatsanwaltschaftlichen Einvernahmen, deren Verwertbarkeit nicht in Frage gestellt wird, im Wesentlichen in Bezug auf den behaupteten Nachtrunk die gleichen Aussagen, wie sie im FinZ-Set festgehalten sind (E. .
Dass auf manchen Formularen nicht einmal die Rechtsbelehrungen gemäss Art. 158 StPO erwähnt werden und in der Praxis auch nicht gemacht werden, ist vermutlich auch egal. Was eine Beamtin – allenfalls auch nachträglich – in das Formular schreibt, ist jenseits vernünftiger Zweifel bewiesen.
Den Betroffenen bleibt nur der Konfrontationsanspruch, der aber (rechtzeitig) geltend zu machen ist. Die konfrontierten Beamten bestätigen dann jeweils, was sie geschrieben haben und behaupten natürlich auch, die Rechtsbelehrungen auch dann gemacht zu haben, wenn sie auf den Formularen fehlen.
Der Letzte – in diesem Falle das BGer – macht‘s Licht aus. Wer braucht denn schon Licht in der Dunkelkammer der Justiz? Die ist ja ohnehin blind.
Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert (Mt 11,6)
Rechtsstaat ? ?? der war gut.
Im letzten satz Ihres kommentars (polizisten bestätigen dann jeweils…) umschreiben Sie sehr schön, weshalb die antizipierte beweiswürdigung vielleicht nicht so ganz falsch ist.
@boet: So kann man es natürlich auch sehen. Aber wozu brauchen wir Richter?
Die richter brauchen wir, damit sie streitigkeiten um den sachverhalt und das darauf anzuwendende recht entscheiden. Zur sachverhaltsfeststellung gehört die beweiswürdigung, die im zusammenhang mit schriftlichen feststellungen und schriftlichen aussagen der polizisten zugunsten dieser version ausfallen kann. Die antizipierte beweiswürdigung ergibt in vielen fällen (wie Sie das auch umschreiben), dass eine (weitere) aussage nichts ergiebiges bringen würde. So wird eben die sachverhaltsfrage entsprechend entschieden. Somit verstehe ich Ihre frage im sachzusammenhang nicht ganz. Müsste Ihrer ansicht nach in jedem fall vor gericht mündlich ausgesagt werden? Das wäre das volle unmittelbarkeitsprinzip, das aber nicht dem konzept der stpo entspricht.
Ich sehe nicht ein, wie Richter auf Polizeiberichte abstellen können, ohne die Autoren zu befragen. Auf Eingaben der Verteidiger oder Einlassungen der Beschuldigten stellen sie ja – völlig zu Recht – auch nicht ab. Beschränkte Unmittelbarkeit heisst doch nicht, dass das Papier, das sich in den Akten befindet, den Anklagesachverhalt beweist.
Also ich würde widersprechen, dass man auf einlassungen der beschuldigten und deren anwälte per se nicht abstellt. I.d.r. steht ein schriftstück/ein sachverhaltspunkt auch nicht isoliert da, sondern in einem sachzusammenhang. Aus diesem kann sich ergeben, dass ein in einem schriftstück verfassten sachverhaltspunkt mehr glaubhaftigkeit zukommt als einer allfälligen bestreitung. Ich finde durchaus, dass ein schriftlich verfasster bericht über wahrgenommenes ein beweismittel im strafprozess sein kann. Kann es das sein, kann es grundsätzlich auch “alleine” bzw. Eben im sachzusammenhang aussagekräftig sein. Ob es das ist, ist, wie gesagt, eine frage der beweiswürdigung. Ihrer ansicht nach müssten wohl auch schriftliche sachverständigen gutachten stets mündlich bestätigt werden, denn das schriftlich verfasste beweist nach ihrer aufassung den sachverhalt nicht. Warum aber die form (schriftlichkeit) schon zweifel über den inhalt (sachverhalt) wecken müsste, erschliesst sich mir nicht, aber vielleicht verstehe ich Sie bzw. Ihren punkt auch nicht ganz richtig.
Nein, wir verstehen uns nicht.
Eine beliebte Vorgehensweise der Polizei ist es auch, den Polizeirapport erst nach den Zeugeneinvernahmen zu erstellen. Hat ein Zeuge nicht im Sinne der Polizei ausgesagt, so ergänzt man einfach im Polizeirapport, dass er sich bereits am Tatort entsprechend geäussert habe. Der Antrag auf Konfrontation wird ignoriert et voila, hat man aus einem Entlastungszeugen einen Belastungszeugen gemacht.