Fiskalisch übereifriges Obergericht AG
Dass dem Obergericht AG die Staatskasse ausserordentlich wichtig ist, ist bspw. aus seiner Rechtsprechung zu den Parteikosten hinlänglich bekannt. In einem aktuellen Urteil hat es nun versucht, dem Kanton auf Kosten eines Verurteilten über CHF 200,000.00 zu verschaffen, was das Bundesgericht nun aber als bundesrechtswidrig verhindert hat.
Nach seinem Urteil ist es zwar grundsätzlich mit dem Verschlechterungsverbot vereinbar, im Berufungsentscheid statt der angefochtenen bedingten Freiheitsstrafe eine unbedingte Geldstrafe zu verhängen (BGer 6B_665/2021 vom 20.06.2022). Die Bundesrechtsverletzung lag in diesem Fall aber in der Verweigerung des bedingten Strafvollzugs:
Die Vorinstanz belässt es in ihrer Begründung grösstenteils dabei vorzubringen, besonders günstige Umstände seien weder behauptet worden noch ersichtlich. Der Beschwerdeführer wurde am 28. Juni 2012 wegen Raufhandels verurteilt, wohingegen das vorliegende Verfahren eine Widerhandlung gegen das UWG betrifft. Obwohl aArt. 42 Abs. 2 StGB keine einschlägige Vorstrafe verlangt, lässt die Vorinstanz vorliegend zu Unrecht ausser Acht, dass die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten in keinerlei Zusammenhang stehen. Zudem ist der Beschwerdeführer seit 20 Jahren verheiratet, hat zwei Kinder im Alter von 12 und 17 Jahren und lebt nach eigenen Angaben in geordneten und stabilen Verhältnissen. Zwar ist die Auffassung der Vorinstanz insoweit zu stützen, als sich seine Lebensumstände seit der letzten Tat nicht wesentlich verändert haben, war er doch auch damals verheiratet und hatte bereits eine Tochter. Jedoch ist angesichts seiner stabilen Verhältnisse mit dem Beschwerdeführer von einer durchaus positiven Festigung seiner Lebensumstände auszugehen. Insgesamt vermögen diese besonders günstigen Umstände die indizielle Befürchtung weiterer Straftaten zumindest zu kompensieren. Die Vorinstanz überschreitet das ihr als Sachgericht bei der Beurteilung der Legalprognose des künftigen Verhaltens zustehende Ermessen (vgl. oben E. 2.2.2), indem sie die Vorstrafe und die erneute Straffälligkeit des Beschwerdeführers schwerer gewichtet als die Veränderung und Stabilisierung seiner persönlichen Verhältnisse. Dem Beschwerdeführer ist der bedingte Vollzug der Geldstrafe zu gewähren (E. 2.4.2, Hervorhebungen durch mich).
Ob die Höhe der Geldstrafe (180 Tagessätze zu CHF 1,200.00, total CHF 216,000.00) eine Rolle gespielt hat, wissen wir nicht. Was wir aber wissen ist, dass das Bundesgericht das Obergericht AG anweist, die Geldstrafe bedingt aufzuschieben und die Kostenliquidation neu zu regeln. Das Urteil “kostet” den Kanton Aargau damit deutlich über CHF 200,000.00, die ihm rechtens gar nie zugestanden wären.
Angesichts der Höhe des Taggeldes liegt die Vermutung nahe, dass die Art der Geschäftstätigkeit, mit welcher auch das inkriminierte Verstoss gegen das UWG im Zusammenhang steht, noch lukrativ zu sein könnte. Vielleicht hätte man es besser mit einer Gewinnabschöpfung und damit einer Verurteilung zu einer Entschädigungsforderung an der Staat versucht, um dem gebeutelten Aargauer Fiskus eine milde Gabe zukommen zu lassen. Was aber wirklich erstaunlich ist, dass die Abänderung einer bedingten Freiheitsstrafe in eine unbedingte Geldstrafe mit der reformatio in peius vereinbar sein soll. Wäre er hingegen bereits erstinstanzlich zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden, wäre im Rahmen der Berufung der Wechsel auf eine unbedingte Geldstrafe nach dem bundesgerichtlichen Kaskadenmodell nicht möglich gewesen. Verstehe es wer will.
Ich halte es für problematisch, dass Geldstrafen und Ordnungsbussen der Staatskasse zugutekommen. Ich schlage vor, dass Geldstrafen und Ordnungsbussen so wie z. B. die VOC-Lenkungsabgabe gleichmässig an die Bevölkerung verteilt werden sollten. Damit würden sich auch die ständigen Diskussionen erübrigen, ob Kontrollen im Strassenverkehr eher der Geldbeschaffung statt der Sicherheit dienen.
Es stellt sich auch noch eine eklige Frage in diesem Zusammenhang. Es steht zwar nicht klar im BGer-Urteil, aber indirekt lässt sich vermuten, dass in der Berufung primär ein Freispruch beantragt wurde. Aufgrund des bundesgerichtlichen Kaskadenmodells muss man wohl die Klientschaft in dieser Konstellation auch darüber aufklären, dass im dümmsten Fall eine hohe unbedingte Geldstrafe resultieren könnte. Aber, wie sieht es mit dem rechtlichen Gehör aus? Müsste das Berufungsgericht darauf hinweisen, dass es einen derartigen Joke in Erwägung zieht?