Fiskalischer Oberrichter
In einem erstinstanzlichen Strafverfahren wurde ein Beschuldigter u.a. zur Zahlung einer Ersatzforderung von CHF 500,000.00 verurteilt (Art. 71 StGB). Ein auf ihn lautendes Depot wurde freigegeben. Der Beschuldigte appellierte gegen Teile des erstinstanzlichen Urteils, die Staatsanwaltschaft erklärte Anschlussappellation. In der Folge verlangte der Beschuldigte die erstinstanzlich angeordnete und nicht angefochtene Freigabe des Depots, womit sich die Staatsanwaltschaft einverstanden erklärte. Die Verfahrensleitung wies den Freigabeantrag dann aber trotzdem ab und erklärte die Vermögenswerte weiterhin als beschlagahmt. Dagegen führte der Beschuldigte erfolglos Beschwerde ans Bundesgericht (BGer 1B_350/2011 vom 21.03.2012, Fünferbesetzung).
Zu prüfen war die Zuständigkeit der Verfahrensleitung des Obergerichts (anwendbar war gemäss Bundesgericht neues Recht):
In der Sache geht es vielmehr um eine im Berufungsverfahren neu bzw. erneut angeordnete Beschlagnahme. Eine Beschlagnahme während des laufenden Berufungsverfahrens ist zulässig, wenn sich die Massnahme als geboten erweist. Rechtsgrundlage hierfür bildet Art. 388 StPO. Nach dieser Bestimmung trifft die Verfahrensleitung der Rechtsmittelinstanz die notwendigen und unaufschiebbaren verfahrensleitenden und vorsorglichen Massnahmen, worunter auch Zwangsmassnahmen wie Beschlagnahmen fallen. Der Vorsitzende der Strafrechtlichen Abteilung des Obergerichts hat sich folglich im Ergebnis zu Recht für zuständig erklärt (E. 3).
Dem kann man ja vielleicht noch folgen, zumal die Aufzähung des Gesetzgebers nicht abschliessend ist. Was aber ist mit der Tatsache, dass die Aufhebung der Depotsperre von keiner Partei angefochten wurde? Für das Bundesgericht scheint dies keine Rolle zu spielen, weil die Verfahrenleitung ja einfach neu beschlagnahmen kann, auch wenn sie nicht Untersuchungsbehörde im Sinne von Art. 71 Abs. 3 StGB ist. Sie kann sich auf Art. 388 StPO berufen:
Über den Wortlaut von Art. 71 Abs. 3 StGB hinaus kann eine Beschlagnahme zur Durchsetzung einer Ersatzforderung des Staats nicht einzig von der Staatsanwaltschaft, sondern auch von den Gerichten angeordnet werden. Die Rechtsgrundlage hierfür findet sich fürs Berufungsverfahren, wie dargelegt, in Art. 388 StPO. Dass das Depot bei der Bank Credit Suisse vom erstinstanzlichen Richter freigegeben wurde, schliesst eine erneute Beschlagnahme im Sinne einer vorsorglichen Massnahme durch die mit der Sache befasste obere kantonale Instanz nicht aus, wenn diese zum Schluss kommt, die Beschlagnahme der Vermögenswerte des Beschwerdeführers erweise sich zur Sicherung der Ersatzforderung des Staats als notwendig. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stellt sich insoweit die Frage der Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils daher nicht (E. 4.3.2).
Das ist mir jetzt aber deutlich zu einfach. Wäre nicht auch “ne bis in idem” ein Thema? Was mich aber hauptsächlich stört ist, dass Richter – ja sogar Rechtsmittelrichter glauben, die Rolle des Staatsanwalts übernehmen zu müssen. Das Bundesgericht sieht darin offensichtlich kein Problem.
Über die Anwendbarkeit von ne bis in idem kann man streiten, denn die vorläufige Beschlagnahme ist – soweit hier ersichtlich – keine endgültige Einziehung.
Dass Richter die Rolle des Staatsanwalts übernehmen, erstaunt indessen nicht, Bundesrichter massen sich ja auch die Rolle des Gesetzgebers an, siehe z.B. die ungleiche Handhabung der Verfolgungsverjährung bezüglich verurteilter und nicht verurteilter Beschwerdeführer, obwohl das StGB dies nicht zulässt.