Fluchtgefahr dank unklarer Rechtspraxis verneint

Geht es nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichts, muss man die Fluchtgefahr als Haftgrund auch bei ausländischen Personen wieder ernsthaft und nach den gesamten Umständen des Einzelfalls prüfen.

Das Bundesgericht kassiert nicht nur die verweigerte Haftentlassung, sondern ordnet diese gleich selbst an (BGer 1B_364/2017 vom 12.09.2017). Beides ist vor dem Hintergrund der immer strenger werdenden Praxis bemerkenswert, insbesondere die höchstrichterliche Argumentation:

Der Beschwerdeführer riskiert gemäss der Anklageschrift wegen (versuchter) schwerer Körperverletzung (Art. 122 StGB) eine Freiheitsstrafe von vier Jahren sowie die Landesverweisung für fünf Jahre (Art. 66a Abs. 1 lit. b StGB). Damit sieht er sich einer nicht unbedeutenden Strafdrohung gegenüber. Allerdings beruft er sich in der Sache auf Notwehr und im Hinblick auf die allfällige Landesverweisung auf einen schweren persönlichen Härtefall (Art. 66a Abs. 2 StGB). Es liegt auf der Hand, dass diese Verteidigungsstrategie erheblich an Glaubwürdigkeit verlieren würde, wenn er sich der Strafverfolgung durch Flucht entzöge. Sodann gibt es zwar zum Härtefall nach Art. 66a Abs. 2 StGB noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung und noch kaum Praxis; im Schrifttum wird allerdings die Ansicht vertreten, dass persönliche und familiäre Bindungen zu berücksichtigen sind und bei entsprechender Bedeutsamkeit unter Umständen ein Absehen von der Landesverweisung zu rechtfertigen vermögen (…). Gestützt darauf erscheint angesichts der langjährigen Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Schweiz und der Beziehungen zu seinen Kindern die Möglichkeit der Anwendung des Ausnahmetatbestands des Härtefalles nicht von vornherein ausgeschlossen. Im Übrigen bestand das Risiko einer Wegweisung bereits unter altem Recht. Zwar beruhte dies auf einer anderen – verwaltungs- statt strafrechtlichen – Grundlage und es galten andere Rechtsvorgaben; es verhält sich aber nicht so, dass das Risiko, die Schweiz verlassen zu müssen, und der damit verbundene allfällige Fluchtanreiz sich in jedem Fall massiv verändert hätten. Gerade im vorliegenden Fall erscheinen die Rechtsfolgen aufgrund der noch unklaren Rechtspraxis zurzeit offen (E. 4.3, Hervorhebungen durch mich).

Ich gebe zu, das mich hier v.a. das Ergebnis überzeugt:

1.1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 4. August 2017 wird aufgehoben.
1.2. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich wird angewiesen, den Beschwerdeführer unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
2.