Fluchtgefahr: “Fluchtneigung” reicht

Die Tendenz, die Anforderungen an Untersuchungs- und Sicherheitshaft immer tiefer zu setzen, nimmt weiter zu. Die oberen Instanz greifen neuerdings sogar dann ein, wenn der Sachrichter nach direktem persönlichem Kontakt einen Haftantrag abweist. Die Rechtsmittelrichter wissen es besser, obwohl sie nur die Akten kennen und den Betroffen nie persönlich angehört haben. Ist der Betroffene ein Ausländer, der eine Freiheitsstrafe von mehreren Jahren zu erwarten hat, ist ihm die prozessuale Haft heute so gut wie sicher.

Die immer wieder betonten konkreten Anhaltspunkte für die Begründung von Fluchtgefahr sind nach dem Massstab des Bundesgerichts (s. zuletzt BGer 1B_377/2014 vom 01.12.2014) eigentlich immer erfüllt, insbesondere wenn der Beschuldigte auch noch auf Freispruch plädiert:

Wie sich aus den Akten ergibt, hat der Beschwerdeführer (vor der Anklageerhebung) insgesamt 93 Tage Untersuchungshaft erstanden. In ihrer Anklageschrift vom 16. Juli 2012 hatte die Staatsanwaltschaft zum Strafpunkt noch keine Anträge gestellt. Noch an der Hauptverhandlung vom 11. September 2014 (bei der die Staatsanwaltschaft eine langjährige Freiheitsstrafe beantragte) plädierte der Beschwerdeführer auf Freisprüche bei den schwersten ihm zur Last gelegten Anklagepunkten bzw. höchstens auf eine bedingte Freiheitsstrafe. Seit seiner erstinstanzlichen Verurteilung am 12. September 2014 hat sich die Wahrscheinlichkeit, dass er (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu vollziehen haben könnte, somit deutlich konkretisiert. Die Ansicht der Vorinstanz, damit habe sich die dargelegte Fluchtneigung beim Beschwerdeführer unterdessen erhärtet, hält vor dem Bundesrecht stand. Auch die dargelegten persönlichen Verhältnisse (schlechte berufliche Integration, angespannte finanzielle Situation, Wurzeln bzw. Kontakte in seinem Herkunftsland usw.) durfte die Vorinstanz willkürfrei als Indizien für eine Fluchtneigung mitberücksichtigen. Im jetzigen Verfahrensstadium bestehen insgesamt ausreichend konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr (E. 4).

Was gegen die Fluchtgefahr spricht, zum Beispiel das bisherige Verhalten, scheint keine Rolle zu spielen.