Fluchtgefahr – oder wie man das Gesetz auf den Kopf stellt

Ein neuer Entscheid des Bundesgerichts (BGE 1B_277/2011 vom 28.06.2011, Publikation in der AS vorgesehen) bestätigt den Haftgrund der Fluchtgefahr, die aus einer Neigung des Beschuldigten zu Alkoholexzessen abgeleitet wird:

Der Beschwerdeführer stellt in seiner Beschwerde nicht in Abrede, dass er reisegewandt ist und sich mehrmals in Thailand aufgehalten hat. Ebenso wenig bestreitet er, dass er unter Alkoholeinfluss zu inadäquaten Konfliktlösungen und Kurzschlussreaktionen neigt. Dass es aber dem Beschwerdeführer in Freiheit gelingen würde, gänzlich alkoholabstinent zu leben, erscheint keineswegs gesichert. Die im Ergebnis von der Vorinstanz gezogene Schlussfolgerung, wonach die vom Beschwerdeführer vorgeschlagenen Ersatzmassnahmen der Durchführung einer ambulanten Gesprächstherapie und der Behandlung mit Antabus nicht hinreichend Sicherheit bieten können für eine Alkoholabstinenz und das Verhindern einer möglichen Flucht ins Ausland als Folge einer Kurzschlussreaktion, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere angesichts der (von der Vorinstanz willkürfrei festgestellten) psychischen Verfassung des Beschwerdeführers erscheint es fraglich, ob dieser willens und in der Lage wäre, die für eine erfolgreiche Gesprächs- und Antabustherapie notwendige Disziplin aufzubringen (vgl. insoweit auch das Urteil des Bundesgerichts 1B_254/2010 vom 25. August 2010 E. 2.5.3). Des Weiteren verletzt es kein Bundesrecht, dass die Vorinstanz die gemäss Gutachter akzentuierten narzisstischen Persönlichkeitszüge des Beschwerdeführers unabhängig von der Alkoholproblematik als Indiz für eine bestehende Fluchtgefahr gewertet hat (E. 3.4).

Nach dem Wortlaut des Gesetzes (Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO) setzt der besondere Haftgund der Fluchtgefahr die ernsthafte Befürchtung voraus, der Beschuldigte werde sich durch Flucht der zu erwartenden Sanktion entziehen. Das Bundesgericht argumentiert im Ergebnis, die ernsthafte Befürchtung sei gegeben, wenn das Gegenteil nicht gesichert sei. Mit diesem Ansatz ist aber eigentlich gar kein Fall mehr denkbar, in dem die Fluchtgefahr zu verneinen wäre. Kein Wunder, dass die Fluchtgefahr als Haftgrund immer beliebter wird.