Folgenlose staatsanwaltliche Arbeitsverweigerung?
Eine zürcherische Staatsanwältin hat sich während eines gegen sie gerichteten Ausstandsverfahrens trotz Untersuchungshaft während zweier Monate geweigert, Untersuchungshandlungen vorzunehmen.
Das Bundesgreicht erkennt darin zwar einen Verfahrensfehler, aber keine schwere Amtspflichtverletzung i.S. eines Ausstandsgrunds (BGer 1B_293/2019 vom 10.09.2019):
In Haftsachen kommt dem strafprozessualen Beschleunigungsgebot besondere Bedeutung zu (vgl. Art. 5 Abs. 2 StPO). Wie aus den Akten ersichtlich ist, war der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses nach wie vor inhaftiert. Auch wenn die Beschwerdegegnerin das Verfahren im Anschluss an den angefochtenen Beschluss fortgeführt hat, befand sich der Beschwerdeführer bis mindestens zum 19. Juli 2019 und befindet er sich soweit ersichtlich weiterhin in Untersuchungshaft. Vor dem Hintergrund der laufenden Haft ist die Weigerung der Beschwerdegegnerin, das Strafverfahren bis zum Beschluss der Vorinstanz fortzuführen, nicht nachvollziehbar. Sie lässt sich unter den gegebenen Umständen auch mit den möglichen Folgen einer Gutheissung des Ausstandsgesuchs gemäss Art. 60 Abs. 1 StPO nicht rechtfertigen. Die Weigerung der Beschwerdegegnerin, bis zum Beschluss der Vorinstanz während knapp zwei Monaten weitere Untersuchungsmassnahmen vorzunehmen, stellt einen nicht leicht zu nehmenden Verfahrensfehler dar. Wie die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht zum Schluss gekommen ist, ist der Fehler für sich gesehen allerdings noch nicht so gravierend, dass er als schwere Amtspflichtsverletzung zu qualifizieren ist, welche im Sinne der Rechtsprechung den Anschein von Voreingenommenheit erweckt (E. 3.2, Hervorhebungen durch mich).
Ist ein nicht leicht zu nehmender Verfahrensfehler (hier: Verletzung des qualifizierten Beschleunigungsgebots), der einen Freiheitsentzug möglicherweise um zwei Monate verlängert, auch straf- und dienstrechtlich unproblematisch? Was darf sich eine Staatsanwältin eigentlich alles leisten?
Das geht m.E. sogar Richtung 312 StGB… Was meinen Sie @KJ?
Da müsste man mehr Details haben, aber die Richtung stimmt.
Die Frage, die sich überdies stellt, lautet: Was dürfen sich Gerichte eigentlich alles leisten?
Unter der StPO sind Staatsanwaltschaft zu einem siamesischen Zwilling mutiert. Oder hat eine derartige Verbrüderung schon einmal zwischen einem Gericht und der Verteidigung beobachten können?
Ich habe kürzlich in einer fachzeitschrift gelesen, dass strafverteidigung ein einziger kampf sei und es (sinngemäss) darum gehe, alles zu bestreiten. Nun, da muss man sich nicht wundern, wenn die gegenseite auch kämpft. Ich halte diese kampfrethorik ohnehin für deplatziert und schädlich. Selbstverständlich muss man als verteidiger kritisch sein und soll nicht alles brav hinnehmen, was die strafbehörden machen. Es gibt aber durchaus anwälte (gott sei dank sogar nicht wenige), die kritisch sind, aber auch sachlich, und nicht jedes komma bestreiten. Diese erreichen oft mehr für den klienten.
@G. Richt: ach wäre es so einfach …
Nein, sich im richtigen moment mit vertretbaren gründen sachlich zu wehren, dies mit der nötigen beharrlichkeit ohne spitzfindig zu sein und dabei das vertrauensverhältnis zum klienten zu wahren, ist bestimmt nicht einfach. Jedenfalls viel schwieriger als bei jeder verfahrenshandlung eine verletzung der menschenrechte und eine gefahr für die demokratie zu rügen.
Liebes G. Richt
Aus Ihrem Pseudonym schliesse ich, dass Sie entweder RichterIn oder GerichtsschreiberIn sind. Wenn Sie doch so gut wissen, was gute Strafverteidigung wirklich ist, warum bleiben Sie dann RichterIn bzw. GerichtsschreiberIn? Die Besserwisser sollen es doch erst mal besser vormachen. Oder ist Ihnen der Job vielleicht doch zu anstrengend? Mehr Arbeit für weniger Lohn im Vergleich zu jetzt? Oder scheuen Sie sich vor der Besserwisserei Ihrer heutigen KollegInnen, die dann über Ihren Klienten und Ihre Arbeit zu Gericht sitzen und Ihnen dann auch noch für Ihre ehrliche Arbeit das Honorar kürzen?
Aus der Optik des Gerichts ist immer alles so klar, nicht wahr? Aber als Anwalt haben Sie diese Optik dann nicht mehr. Und genau das ist das grundlegende Problem der meisten Gerichte: Sie haben nur Verständnis für ihre eigene Optik und die Optik der Strafverfolgung. Die Optik der Verteidigung ist die konträre. Hätte das Gericht mehr Verständnis für die Optik der Verteidigung, müssten wir Verteidiger auch nicht ständig so vehement um unseren Standpunkt kämpfen. Ich darf zu bedenken geben, dass Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BV nicht eine faire Strafverfolgung, sondern eine wirksame Verteidigung gewährleistet.
Lieber herr walt
Ich habe den grössten respekt vor der arbeit der anwälte. Das geht auch aus meinem kommentar hervor, in dem ich anerkenne, dass gute anwaltsarbeit nicht einfach ist. Mir scheint aber, dass hier die optik der (kampf)anwälte einseitig zum tragen kommt, weshalb ich mir erlaubt habe, eine gegenstimme zu platzieren. Mit besserwisserei hat das nichts zu tun. Im übrigen hat jeder gründe für das, was er macht und arbeitet. Darum kann es hier aber nicht gehen. Jedenfalls könnte ich Ihnen genausogut entgegnen, dass Sie an ein gericht könnten, wenn Sie ja offenbar wissen, wie anwälte richtig zu behandeln wären.