Formlose Einladung zur Selbstbelastung

Ein abweisender Beschwerdeentscheid des Bundesgerichts enthält eine sehr wichtige Erwägung, die in unzähligen Strafverfahren eine wichtige Rolle spielt und regelmässig falsch entschieden wird: Wie sind formlose Einlassungen zu behandeln, welche im Ergebnis einem Geständnis gleichzusetzen sind. Dazu das Bundesgericht (BGer 7B_257/2022 vom 04.12.2023):

Die vorinstanzlichen Erwägungen überzeugen nur teilweise [genau genommen sind sie mit den nachfolgenden Ausführungen des Bundesgerichts schlicht und einfach falsch (Anmerkung von mir)]. Was den Telefonanruf der Kantonspolizei Zürich an die Fahrzeughalterin und Mutter des Beschwerdeführers anbelangt, so geht aus den vorinstanzlichen Feststellungen zum Prozesssachverhalt nicht hervor, dass diese über den Grund des Anrufs, also den konkreten Vorhalt gegenüber dem Lenker informiert worden wäre. Es ist deshalb gerade nicht nachvollziehbar, wie die Vorinstanz zum Schluss kommen kann, dass “Absicht und Zweck der Aufforderung”, der bis dahin noch unbekannte Lenker solle sich bei der Polizei melden, “jederzeit klar und verständlich aufgeschienen” seien. Vielmehr muss dieses “telefonische Ersuchen”, das die Vorinstanz selbst als “formlose Aufforderung” bzw. als “Einladung” bezeichnet, als eine polizeiliche Aufforderung an den Beschwerdeführer verstanden werden, sich gegenüber der Polizei zu erkennen zu geben und sich durch Bekanntgabe seiner Identität als Fahrzeugführer selbst zu belasten. Dass diese “Einladung” ausserhalb der strafprozessualen Formen geschehen ist, macht dieses Vorgehen rechtsstaatlich nicht weniger heikel, sondern im Gegenteil umso problematischer. Indem die Polizei den Beschwerdeführer letztlich im Ungewissen darüber gelassen hat, aus welchem Grund er sich als Lenker zu erkennen geben soll, liegt zudem ein täuschungsähnliches Vorgehen vor, das mit der Selbstbelastungsfreiheit nicht mehr vereinbar erscheint und eine Unverwertbarkeit der Meldung des Beschwerdeführers als Primärbeweis nach Art. 141 Abs. 1 StPO grundsätzlich indiziert.  

So bemerkens- und begrüssenswert diese Erwägung ist, so schwach ist dann die folgende, die zur Abweisung der Beschwerde führt:

Wie die Vorinstanz vielmehr zutreffend ausgeführt hat, wäre nämlich der Folgebeweis im Sinne eines hypothetischen Ermittlungsverlaufs zumindest mit einer grossen Wahrscheinlichkeit auch ohne den problematischen ersten Beweis erlangt worden: Es liegt auf der Hand, dass eine Ermittlung bei einem Stillschweigen des Beschwerdeführers und dessen Mutter rasch zu den nächsten Familienmitgliedern und damit zum Beschwerdeführer geführt hätte (E. 3.4.2). 

Wirklich? Liegt es nicht näher, dass die Polizei ihre illegale Gesichtserkennungs-Software eingesetzt hätte? Und: wieso hat die Polizei im zuständigen Kanton Zugriff auf das Informationssystems Verkehrszulassung und die darin enthaltenen Fotos?