Formungültige Strafbefehle
Nicht persönlich unterzeichnete Strafbefehle sind in der Regel ungültig und die Überweisung ändert daran nichts (BGE 6B_684/2021 vom 22.06.2022, Publikation in der AS vorgesehen):
Der Erlass eines gültigen Strafbefehls bildet mithin die Voraussetzung der materiellen Beurteilung der Rechtssache durch das Gericht. Die Überweisung an das Gericht ersetzt – vorbehältlich der nachfolgenden Ausführungen – weder den Strafbefehl, noch heilt sie den Formmangel (vgl. wiederum Urteil 6B_1304/2018 vom 5. Februar 2019 E. 1.5) [E. 1.5.1].
Der Vorbehalt des Bundesgerichts ist m.E. nicht überzeugend. Ungültigkeit soll nämlich nur vorliegen, wenn auf die eigenhändige die Unterschrift bewusst verzichtet wurde.
Dies muss zumindest in jenen Konstellationen gelten, in denen – wie vorliegend – auf die eigenhändige Unterschrift des Strafbefehls bewusst im Sinne einer eigentlichen Praxis verzichtet worden ist. Wie hiervor dargelegt, handelt sich bei Art. 80 Abs. 2 und Art. 353 Abs. 1 lit. k StPO um äquivalente Gültigkeitsvorschriften (oben E. 1.4.1). Das Bundesgericht ist im Urteil 6B_85/2021 vom 26. November 2021 zum Schluss gelangt, dass das auf einem Versehen beruhende, (gänzliche) Fehlen von Unterschriften auf einem erstinstanzlichen Urteil dadurch als geheilt gilt, indem den Parteien auf Aufforderung der zweitinstanzlichen Verfahrensleitung von der Vorinstanz ein korrekt unterzeichnetes Urteilsexemplar zugestellt worden war (zum Ganzen Urteil 6B_85/2021 vom 26. November 2021 E. 6.4.2 mit Hinweis auf die Regeste und die Erwägungen von BGE 131 V 483; vgl. auch 6B_1231/2015 vom 31. Mai 2016 E. 1.2). Auch im Zusammenhang mit Strafbefehlen erscheint es nicht sachgerecht, die Heilung des Fehlens einer (formgültigen) Unterschrift – diesfalls mittels einer Überweisungsverfügung, mit welcher die zuständige Staatsanwältin unterschriftlich bestätigt, dass der Strafbefehl ihrem tatsächlichen Willen entspricht – per se und damit unabhängig von der konkreten Konstellation auszuschliessen. Folgerichtig erscheint stattdessen, eine Heilung wiederum dann zuzulassen, wenn auf die (eigenhändige) Unterschrift nicht bewusst verzichtet worden, sondern diese namentlich versehentlich unterblieben ist und damit die Nichteinhaltung des Gültigkeitserfordernisses nicht auf einer eigentlichen Praxis beruht. Unter dieser Prämisse kann davon ausgegangen werden, dass eine korrekt unterzeichnete Überweisungsverfügung – mithin eine solche, die von der für den Erlass des Strafbefehls zuständigen Staatsanwältin eigenhändig unterschrieben worden ist – den Mangel von deren auf dem Strafbefehl fehlenden eigenhändigen Unterschrift zu heilen vermag (E. 1.5.2).
Warum nicht überzeugend? Es handelt sich dann um einen behebbaren formellen mangel aus versehen. Insofern gilt das gleiche wie bei versehentlich nicht unterzeichneten rechtsschriften.
@Unterschrift: Mir leuchtet die Logik nicht ein. Ob ich die Unterschrift versehentlich oder bewusst weglasse müsste doch einerlei sein.
@kj: Die tiefere Logik ist wohl, dass sich das Bundesgericht das Gefühl hat, das andere Basel versuche mit einem “Buebetrickli” das Machtwort des Bundesgerichts in BGE 142 IV 70 zu unterlaufen, wonach sich ein Staatsanwalt oder Staatsanwältin gefälligst hinzusetzen habe, in aller Ruhe die Akten studieren, noch einmal über Sinn und Zweck von Strafe zu reflektieren habe, damit er oder sie mit der grösstmöglichen Sorgfalt für den Sünder eine angemessene Strafe ausfällen kann, die jenen wieder auf den richtigen Weg leiten kann und das begangene Unrecht sühnen kann und anschliessend diesen heiligen Akt mit seinem Füllfederhalter besiegelt. Das SVG ist ja schliesslich nicht einfach irgendein Gesetz.
“Der Vorbehalt des Bundesgerichts ist m.E. nicht überzeugend. Ungültigkeit soll nämlich nur vorliegen, wenn auf die eigenhändige die Unterschrift bewusst verzichtet wurde.”
Ich verstehe das Urteil anders. Auch bei einem versehentlichen Vergessen der Unterschrift liegt Ungültigkeit vor. Nur kann dieser Mangel dann ausnahmsweise geheilt werden.
@HP Seipp: Ja, das sehen Sie wohl richtig. Danke für den Hinweis.
Natürlich der Staat kann sich selbst alles heilen, während der betroffene alle Rechte verliert wenn er nur einem Tag zu spät Einsprache erhebt.
Das ein BEFEHL im normalem Sprachebrauch von einem durchschnittlich intelligenten Bürger als Offerte verstanden werden soll, konnte mir auch noch kein Mensch erklären.
Und so etwas soll ein faires Verfahren sein? Der Staat insbesondere die völlig unfähigem Staatsanwälte begehen Straftaaten am Laufmeter, Folgen ?? Nie, Auffsicht? Träum mal weiter….
Eine Staatshaftungsklage darf der vom Staat geschädigte erheben um damit noch ein weiteres Prozessrisiko tragen zu müssen….glücklich wer Mittellos ist….den in tat und Wahrheit kann sich das nur der arme und der reiche leisten, der Mittelstand ist völlig Rechtslos….schlicht weil er es sich nicht leisten kann eine gerichtliche Beurteilung durchzuziehen….
@ John in meinem Land Litauen ist die Justiz für sich selber da. Sie hat ein eigenartiges Eigenleben produziert und der Bürger und der Staat ist ewas was die Justiz nervt.
Bei ihnen in der Schweiz kommt es mir so vor das die Justiz dafür da ist, den Staat vom Bürger zu schützen.. ursprünglich war ja die Idee mit den Gerichten den Bürger bzw. das Kapital vom gierigen Staat zu schützen. Diese Idee ist nach meiner Meinung schon lange begraben. Oder haben Sie jemals, wie in der USA, gesehen das ein Schweizer Gericht einen Konzern Recht gibt und den Staat zu Milliardenzahlungen usw. verdonnert? Schauen Sie mal den Dieselskandal an.. nur die Amis und vielleicht UK haben eine Justiz die tatsächlich nicht Angst vor dem Staat hat
Wie ist es, wenn der Strafbefehl nur in Kopie zugestellt wird?
Eine Unterschrift des Staatsanwalts ist vorhanden, aber eben nicht im Original, sondern Kopie?
Im normalen Sprachgebrauch müsste es heissen: der Strafbefehl muss mit „originaler Unterschrift oder deren Kopie“ zugestellt werden, damit ein solcher Strafbefehl gültig ist, oder nicht?