Fotowahlkonfrontation, Teilnahmerechte und Ermittlungstaktik
Das Bundesgericht kassiert ein Urteil des Kantonsgerichts SZ wegen Verletzung der Teilnahmerechte bei einer Fotowahlkonfrontation, die offenbar das entscheidende Beweismittel zur Verurteilung des Beschwerdeführers darstellte (BGer 6B_1078/2020 vom 26.10.2022, Fünferbesetzung).
Gemäss Abs. 2 von Art. 146 StPO, welcher unter dem Titel “Einvernahmen mehrerer Personen und Gegenüberstellungen” steht, können die Strafbehörden Personen einander gegenüberstellen. Bei der Foto (wahl) konfrontation handelt es sich um einen Unterfall einer Identifizierungsgegenüberstellung, welche wiederum eine Sonderform von Einvernahme und Augenschein darstellt. Dabei werden dem Zeugen Fotos von Personen vorgelegt, und dieser soll sich dazu äussern, ob er den mutmasslichen Täter auf einem der Fotos wiedererkennt. Der gesamte Vorgang ist zu protokollieren und die zur Identifikation unterbreiteten Fotos sind zu den Akten zu nehmen (…). Da es sich um eine Beweisabnahme handelt, ist nach eröffneter Untersuchung der bereits bestellten Verteidigung ein Teilnahmerecht an der Foto (wahl) konfrontation einzuräumen (…). Gleiches muss zumindest auch für die (noch) unverteidigte beschuldigte Person gelten, will diese ihr Teilnahmerecht – einschliesslich Fragerecht – wahrnehmen und ausüben (…), geht es beim Teilnahmerecht doch gerade darum, theoretisch durch “mitwirkende Teilnahme” Einfluss auf die Beweiserhebung und schliesslich auch auf das Ergebnis nehmen zu können (…). Das Teilnahmerecht des (unverteidigten) Tatverdächtigen an der Einvernahme der Auskunftsperson oder des Zeugen kann etwa mittels Videoübertragung in ein Nebenzimmer gewährleistet werden, ohne dass das Ergebnis der Foto (wahl) konfrontation dadurch möglicherweise verfälscht würde.
Aus den vorinstanzlichen Erwägungen ergibt sich ferner nicht, dass die Strafverfolgungsbehörden für die fragliche Einvernahme einschliesslich der Fotowahlkonfrontation vom 11. April 2012 das Teilnahmerecht des Beschwerdeführers 2 im Sinne der gesetzlichen Ausnahmen (vorläufig) einschränken wollten. Dass die Polizei das Ergebnis der Fotowahlkonfrontation “aus ermittlungstaktischen Gründen” zunächst zurückhalten und den Beschwerdeführer 2 damit erst in Anwesenheit dessen Verteidigers am 6. November 2012 konfrontieren wollte, genügt insoweit nicht. Die Vorinstanz geht fehl in der Annahme, die Dokumentation der Fotowahlkonfrontation sowie die zusätzliche Aufnahme der Identifizierung in das Einvernahmeprotokoll habe den Beschwerdeführer 2 hinreichend in die Lage versetzt, die Fotowahlkonfrontation als Beweiserhebung in inhaltlicher und formeller Hinsicht zu prüfen sowie allenfalls deren Verwertbarkeit infrage zu stellen. Hierfür hätte dem Beschwerdeführer 2 die Gelegenheit eingeräumt werden müssen, den Beweiswert der ohne seine Mitwirkung erfolgten Fotowahlkonfrontation auf die Probe zu stellen. Solches ist hier nicht geschehen: Zwar wurde C. (auch) im Beisein des Verteidigers des Beschwerdeführers 2 am 5. August 2013 erneut zur Sache befragt, wobei der Verteidiger ihm Fragen stellen konnte (…). Was indes die Fotowahlkonfrontation vom 11. April 2012 betrifft, äusserte sich C. in derselben Einvernahme auf Vorhalt (u.a.) dieser Fotowahlkonfrontation und die Frage, ob er zur Kenntnis nehme, dass er (neben dem Beschwerdeführer 1) den Beschwerdeführer 2 als Täter identifiziert habe, bloss mit “Ja” (…). In der Folge wiederholte er weder die im Rahmen der eben genannten Fotowahlkonfrontation gemachten Aussagen, noch bestätigte er diese. Im Gegenteil sagte er nunmehr aus, er sage “das gleiche wie das letzte Mal”. Die einzige Person, die er “100 % wieder erkenne ist A.A.” (womit der Beschwerdeführer 1 gemeint war; vgl. F/A 48 ff. S. 8 ff.; zum Ganzen bereits E. 2.4.4). Damit äusserte sich C. in dieser Einvernahme nicht frei bzw. gar nicht erst zur fraglichen Fotowahlkonfrontation bzw. deren Ergebnis den Beschwerdeführer 2 betreffend. Vor diesem Hintergrund kann dem Verteidiger des Beschwerdeführers 2 nicht zum Vorwurf gemacht werden, er hätte C. in derselben Einvernahme auch Fragen zur durchgeführten Fotowahlkonfrontation stellen und so allenfalls zu deren Verwertbarkeit beitragen müssen. Indem C. auch im weiteren Verlauf der Untersuchung und später im gerichtlichen Hauptverfahren nicht mehr zu (dem Ergebnis) der Fotowahlkonfrontation befragt oder mit ihm keine neue (Fotowahl-) Konfrontation durchgeführt wurde, konnte der Beschwerdeführer 2 zumindest insofern seine Verteidigungsrechte nicht wirksam ausüben.
Und was ist im polizeilichen Ermittlungsverfahren? Kann die Polizei in diesem Verfahrensstadium nach Belieben Bildchen zeigen bzw. Fotokonfrontationen durchführen ohne Beizug des Beschuldigten und dessen Verteidigers?
Meines Erachtens ja, denn es können vor eröffneter Untersuchung schliesslich auch sämtliche andersweitige Einvernahmen gemacht werden, ohne Teilnahmerechte gewähren zu müssen.
Meistens gibt es in diesem Stadium noch gar keinen Beschuldigten und ergo auch keinen Verteidiger. Sinn der Wahlbildkonfrontation ist es in den meisten Fällen, den Täter erst zu ermitteln.
Ich fürchte, wie sprechen nicht vom Gleichen. Gemäss Zürcher Kommentar StPO-Nathan Landshut/Thomas Bosshard Art. 300 N 3a ist das polizeiliche Ermittlungsverfahren (Teil des Vorverfahrens) eröffnet, wenn “die Polizei durch die Vornahme von Erhebungen oder in anderer Weise zu erkennen gibt, dass sie jemanden einer strafbaren Handlung verdächtigt”
Ich meine denn auch nicht die Fälle, in denen die Polizei einem möglichen Zeugen ein Bundesordner mit fünfhundert beliebigen Fotos vorlegt. Sondern die Fälle, in welchen die Polizei schon konkret jemanden im Visier hat und nebst dem Foto von der fraglichen Person noch vier Fotos von x-beliebigen Personen vorlegt. Das ist denn auch das (Problematische), was ich in der Praxis erlebe.
Wenn man keinen Täter hat, kann man auch keine Fotowahlkonfrontation machen… Demzufolge hat man durchaus einen vermeintlichen Täter bereits im Verdacht bzw. allenfalls bereits ermittelt und versucht mittels Fotowahlkonfrontation dies auch durch das Opfer bestätigen zu lassen.
Wiedererkennungsbeweise durch Lebend- oder Fotowahlkonfrontation lassen sich nur einmal durchführen. Denn beim zweiten Mal weiss man nicht, ob sich der Zeuge an die wirkliche Person oder an das beim ersten Mal gezeigte Bild erinnert. Zudem sind Wahlbildkonfrontationen manipulationsanfällig. Ist z.B. ausgeschlossen, dass der Befrager beim richtigen Bildli ein Zeichen gibt? Mit anwesenden Parteien ist das nahezu ausgeschlossen – sofern die Teilhabe uneingeschränkt ist. Daher keine Wahlbildkonfrontationen ohne volle Parteiöffentlichkeit. Um via Augenzeugen einen Täter erst einmal zu ermitteln, gibt es zweckmässigere Mittel als Wahlbildkonfrontationen. Etwa Täterbeschreibungen oder Phantombilder.