Fragen an Belastungszeugen
In einem auffallend kurz begründeten Urteil kassiert das Bundesgericht einen Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau. Dieses hatte auf belastende Aussagen abgestellt, die in anderen Verfahren und ohne Gewährung der Teilnahmerechte der Beschuldigten zu Protokoll gegeben worden waren (BGer 6B_191/2014 vom 14.08.2014):
Die im Etablissement Y. angetroffenen Frauen wurden in den jeweiligen, gegen sie gerichteten Strafverfahren befragt. Die Beschwerdeführerin erhielt nie die Gelegenheit, an diesen Einvernahmen teilzunehmen oder im weiteren Verlauf des Verfahrens Fragen zu stellen. Indem die Vorinstanz darauf abstellt, um den Schluss zu ziehen, dass die Beschwerdeführerin faktische Geschäftsführerin des Etablissements war, verletzt sie den Anspruch der Beschwerdeführerin, Belastungszeugen Fragen zu stellen. Die Aussagen sind als Beweismittel nicht verwertbar (Art. 147 Abs. 4 StPO) [E. 1.3].
Dass die Verteidigung beantragt hätte, die Belastungszeugen seien unter Gewährung der Teilnahmerechte nochmals zu befragen, geht aus dem Entscheid nicht hervor. Vielleicht ist das im Kanton Aargau gar nicht mehr nötig. Hier aber noch die rechtlichen Erwägungen:
Nach Art. 147 Abs. 1 StPO und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK hat der Angeschuldigte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen. Eine belastende Zeugenaussage ist danach grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Ergänzungsfragen zu stellen (BGE 133 I 33 E. 3.1 mit Hinweisen) [E. 1.3].
So weit so klar. Wie verhält es sich aber, wenn der Beschuldigte im Laufe des Verfahrens in Kenntnis der Verletzung des Gehörsanspruchs keine erneute Befragung beantragt?
Da bin ich mir nach diesem Entscheid nicht mehr sicher. Vorher hätte ich gesagt, der Beschuldigte müsse die Befragung explizit (und rechtzeitig) beantragen.
Der Beschuldigte muss keinen Antrag stellen. Es handelt sich hier um obligatorische Parteiöffentlichkeit.
Das sehe ich ja auch so, aber ist das auch wirklich die Meinung des Bundesgerichts?
Ich hätte ebenfalls gesagt, dass es sich um ein Konfrontationsrecht und nicht um eine Pflicht handelt. Der Beschuldigte muss dies beantragen, kann es aber auch erst sehr später im Verfahren tun. Hätte der Verteidiger dies im Verlaufe des Verfahrens nicht beantragt gehabt, hätte das Bundesgericht die Rüge wohl nicht angenommen (Nichtausschöpfen des kt. Instanzenzuges bzw. Handeln wider Treu und Glauben).
Die Behörde hat das Teilnahmerecht nach Art. 147 zu gewährleisten. Es handelt sich hier eben um obligatorische Parteiöffentlichkeit. Die Partei muss zur Teilnahme keinen Antrag stellen.
Das Teilnahmerecht ist nicht von Anfang an zu gewähren bzw. kann unter gewissen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Nicht-parteiöffentliche Einvernahmen müssen nicht zwingend parteiöffentlich wiederholt werden. Der Beschuldigte muss die Wiederholung verlangen, wenn er dem Belastungszeugen Fragen stellen will (oft genug will er das aber gar nicht). Sofern die Einvernahmen ohnehin gemäss 147 StPO parteiöffentlich sind, muss dem Beschulidgten diese natrülich angezeigt werden, damit er teilnehmen kann. In Fällen wie vorliegend werden die ersten Ermittlungen oft von der Polizei (ohne Teilnahmerecht gemäss 147 StPO) geführt und die Belastungszeuginnen relativ rasch nach der Befragung aus der Schweiz weggewiesen. Geschieht dies zu früh, dann kann der beschuldigten Person die parteiöffentliche Einvernahme nachträglich nicht mehr gewährt werden und die polizeiliche Befragung ist unverwertbar. Ob dies hier der Fall war, lässt sich aufgrund des kurzen Sachverhaltes jedoch nicht beurteilen.