Freie Anwaltswahl, Anwaltsgeheimnis, Prozessentschädigung

Das Bundesgericht (Fünferbesetzung, BGer 6B_30/2010 vom 01.06.2010) setzt sich im Zusammenhang mit den vom Staat zu zahlenden Prozessentschädigungen mit etlichen grundsätzlichen und grundrechtlichen Fragen auseinander, die es allesamt zu Ungunsten der Beschuldigten beantwortet. Die Rechtsprechung führt dazu, dass etwa die freie Anwaltswahl und das Anwaltsgeheimnis beschränkt werden.

Dass eine detaillierte Kostennote mit dem Anwaltsgeheimnis kollidieren kann, anerkennt das Bundesgericht. Dazu macht es folgende Ausführungen:

5.3.4 Zu den Tatsachen, welche vom Anwaltsgeheimnis erfasst werden, gehört schon der Umstand des Bestehens eines Mandats zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Klienten (vgl. Urteile 2C_508/2007 vom 27. Mai 2008 E. 2.1; 1S.5/2006 vom 5. Mai 2006, publ. in: SJ 2006 I S. 489, E. 5.3.1). Ist das Mandatsverhältnisses, wie im Zusammenhang mit der Entschädigungsfrage bei einem Freispruch, schon bekannt, fällt allerdings nicht jede Information über erbrachte Verteidigungsleistungen unter das Anwaltsgeheimnis, wenn daraus keine Schlüsse auf deren materiellen Inhalt oder die Verteidigungsstrategie gezogen werden können (Urteil 1S.5/2006 vom 5. Mai 2006 E. 5.3.1). Unproblematisch ist es daher, wenn vom Freigesprochenen im Zusammenhang mit der Beurteilung der Prozessentschädigung verlangt wird, dass die Rechnungspositionen in den eingereichten Honorarnoten auch nach der Art der Tätigkeit (Aktenstudium, Korrespondenz, Besprechung, Telefonate, Verfassen von Rechtsschriften, juristische Recherchen, Teilnahme an Verhandlungen, Reisezeit etc.) spezifiziert werden. Der Freigesprochene wird damit nicht zur Preisgabe von Informationen gezwungen, welche dem Anwaltsgeheimnis unterliegen. Allzu detaillierte Angaben über Art, Ort und Zeit der Vornahme bestimmter Leistungen, welche Rückschlüsse z.B. auf das Verhalten des Beschuldigten oder die Verteidigungsstrategie zulassen, dürfen hingegen nicht verlangt werden (vgl. Urteil 1S.5/2006 vom 5. Mai 2006 E. 5.3.1).
5.3.5 Aus den vom Beschwerdeführer eingereichten Honorarnoten ergibt sich der pro Tag (Datum) erfolgte Zeitaufwand in Stunden unter Angabe des Kürzels des Anwalts und des Honorars in Schweizerfranken. Obschon auch mit Blick auf das Anwaltsgeheimnis zumutbar, fehlen Erläuterungen zur Art der Tätigkeit gänzlich. Dem Gericht war es somit nicht möglich, den geltend gemachten Stundenaufwand, welcher sich als ausgesprochen hoch erweist, auf seine Verhältnismässigkeit und allfällige unnütze oder verfahrensfremde Aufwendungen zu überprüfen. Unter Willkürgesichtspunkten nicht zu beanstanden ist deshalb die Auffassung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe keine spezifizierte Honorarrechnung eingereicht, weshalb die Entschädigung durch das Gericht in Anwendung von § 15 Abs. 2 i.V.m. § 14 Abs. 3 AnwT nach Ermessen festzusetzen sei.
Hier übersieht das Bundesgericht m.E. wohl, dass eine Verletzung des Anwaltsgeheimnisses gerügt wurde, dem das Bundesgericht Verfassungsrang zuerkennt. Es hätte sich daher nicht auf  Willkürgesichtspunkte beschränken dürfen.
Weiter setzte sich das Bundesgericht mit der Höhe des zu entschädigenden Stundenansatzes auseinander. Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, dass der vom Staat zu entschädigende tiefe Stundenansatz die Wahl der Verteidigung beschränkt. Auch dies anerkennt das Bundesgericht im Grundsatz, beschränkt die Wahlfreiheit dann aber im Ergebnis trotzdem, u.a. mit dem Hinweis auf eine  “gewisse Schadenminderungspflicht” des Beschuldigten (!). Immerhin anerkennt es, dass ein Stundenansatz von CHF 250.00 eher tief sei.
Zwar kann dies im Ergebnis zur Folge haben, dass der Freigesprochene einen Teil seiner privaten Verteidigungskosten aufgrund des mit seinem Anwalt vereinbarten höheren Stundenansatzes selber tragen muss. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass den Beschuldigten auch eine gewisse Schadensminderungspflicht trifft, weshalb er mit seinem Verteidiger nicht einen beliebigen, vom Staat zu entschädigenden Stundenansatz vereinbaren kann. Der Stundenansatz von Fr. 250.– ist im Verhältnis zu den heute unter Strafverteidigern im freien Dienstleistungsverkehr teilweise (zu Recht oder Unrecht) praktizierten Ansätzen eher tief. Das Bundesgericht erachtete im Entscheid BGE 132 I 201 E. 7 einen Ansatz in der Grössenordnung von Fr. 150.– pro Stunde als kostendeckend, womit dem anwaltlichen Vertreter beim angewendeten Satz von Fr. 250.– pro Stunde ein dem Berufsstand angemessener Verdienst verbleibt. Dem Beschuldigten sollte es daher auch zu diesen Bedingungen möglich sein, einen Anwalt seiner Wahl zu mandatieren. Ein Stundenansatz von Fr. 250.– in Fällen mittlerer Komplexität bzw. von Fr. 200.– oder Fr. 220.– in weniger komplexen Verfahren wurde auch in unlängst ergangenen Entscheiden als mit dem Willkürverbot vereinbar erklärt (vgl. etwa Urteile des Bundesgerichts 6B_668/2009 vom 5. März 2010 E. 3.2 mit Hinweis; 6B_347/2009 vom 10. September 2009 E. 2; 6B_194/2008 vom 11. August 2008 E. 3.3.2 sowie BGE 131 V 153 E. 7 für das Sozialversicherungsrecht) (E. 5.4.2).
Das Bundesgericht stellt ferner wohl nicht zu Unrecht fest, dass eine wirksame Verteidigung auch zu einem unterdurchschnittlichen Stundenansatz möglich sei, denn das Recht auf freie Verteidigung kann der Angeklagte nur beanspruchen, wenn er diesen auch bezahlen kann:
Reichen die dem Angeschuldigten zur Verfügung stehenden Mittel lediglich aus, um einen Rechtsanwalt mit einem durchschnittlichen oder relativ tiefen Stundenansatz zu mandatieren, kann ihm dies nicht schaden. Bietet auch dieser Gewähr für eine wirksame Verteidigung, kann darin keine Verletzung von Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK gesehen werden, nachdem auch der gänzlich mittellose Angeschuldigte seinen amtlichen Verteidiger nicht frei wählen kann. Die Entschädigung eines tieferen Stundenansatzes als den mit dem privaten Verteidiger vereinbarten verstösst nicht gegen Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK (E. 5.4.3).