Freiwillige Zwangsmassnahmen
Das Bundesgericht scheint die Auffassung zu vertreten, ein strafprozessualer Eingriff in bestimmte Grundrechte sei nur dann eine Zwangsmassnahme, wenn er gegen den Willen des Betroffenen erfolgt. Ein entsprechender Zwangsmassnahmenbefehl ist in diesen Fällen nicht erforderlich (vgl. Art. 241 StPO).
Zu diesen Grundrechten gehört die Achtung der Privatsphäre oder die Unverletzlichkeit der Wohnung:
Der Einwand des Beschwerdeführers und sein Vergleich mit der Untersuchungshaft, bei der auch im Falle einer Einwilligung des Beschuldigten nicht auf Hafteröffnung, Haftentscheid etc. verzichtet werden dürfe (…), hinkt insofern, als bei den Voraussetzungen von Untersuchungs- und Sicherheitshaft nirgends von einer möglichen Einwilligung die Rede ist. Art. 244 StPO hingegen erwähnt die “Einwilligung der berechtigten Person” ausdrücklich. Stellt das Gesetz Fälle mit Einwilligung der berechtigten bzw. betroffenen (vgl. Art. 249 StPO) Person solchen ohne die entsprechende Einwilligung gegenüber, kann dies sinnvollerweise nur bedeuten, dass die fragliche Zwangsmassnahme bei Vorliegen einer rechtsgültigen Einwilligung nicht mehr in der grundsätzlich vorgeschriebenen Form angeordnet zu werden braucht. Davon, dass Räumlichkeiten gemäss Art. 244 StPO entweder gestützt auf einen Hausdurchsuchungsbefehl oder aufgrund einer Einwilligung der berechtigten Person betreten werden dürfen, ging im Übrigen auch der Gesetzgeber aus (vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1222) [E. 1.4.3].
Aus naheliegenden Gründen kritisiere ich diesen Entscheid (BGer 6B_900/2015 vom 29.01.2016) nicht. Hier aber noch das Zitat aus der Botschaft:
Art. 212 Betreten von Räumlichkeiten
Absatz 1 verweist auf die Bestimmungen der Artikel 243 und 244. Weil anzuhaltende oder festzunehmende Personen immer «gesuchte Personen» im Sinne von Artikel 243 Absatz 2 Buchstabe a sind, dürfen die Räumlichkeiten zur Anhaltung oder Festnahme nicht bloss aufgrund einer Einwilligung der berechtigen Person, sondern auch gestützt auf einen Hausdurchsuchungsbefehl betreten werden. Soweit Räumlichkeiten zwecks Vorführung einer Person zu betreten sind, finden sich die Voraussetzungen in den Artikeln 206 und 207 Absatz 4. Absatz 2 geht weiter und gestattet das Betreten von Räumlichkeiten zwecks Anhaltung oder Festnahme auch ohne Hausdurchsuchungsbefehl bei Gefahr im Verzug.
Fishing Expedition ist also erlaubt, wenn eine “rechtsgültige” Einwilligung vorliegt. Hallelujah.
Nein, weil die Voraussetzungen von Art. 197 StPO nach wie vor gegeben sein müssen.
Die Einwilligung, wie sie in Art. 244 Abs. 1 StPO vorgesehen ist, ersetzt in der Praxis den HD-Befehl, jedoch wird das auch nur gemacht, wenn die Voraussetzungen von Art. 197 StPO erfüllt sind. Wenn das jemand anders macht, dann ist das schlicht unprofessionell.
Betr. Fishing Expedition… naja, den Teufel nicht grad an die Wand malen. Die echte Polizei hat nun weiss Gott besseres zu tun, als einfach auf Gut-Glück bei jemandem vorbei zu schauen.
Ich rate den Kritikern, weniger TV zu schauen und wieder auf dem Boden der Realität zu landen.
In diesem Zusammenhang interessant: Die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Bern hielt im Dezember in einem Beschluss fest, dass eine Durchsuchung von Datenträgern (Art. 246 StPO ) nach Art. 198 i.V.m. Art. 241 Abs. 1 StPO von der Staatsanwaltschaft anzuordnen bzw. vorzunehmen ist. Die Anordnung hat in Form eines schriftlichen Befehls zu ergehen, auch wenn die betroffene Person in die Durchsuchung einwilligt (Art. 241 Abs. 1 StPO). Von der Notwendigkeit eines schriftlichen Befehls kann lediglich abgewichen werden, sofern Gefahr in Verzug nach Art. 241 Abs. 3 StPO vorliegt (Ziff. 5.1). Eine Einwilligung reicht nicht aus. Die Frage, ob die Notwendigkeit eines schriftlichen Befehls eine reine Ordnungsvorschrift oder eine Gültigkeitsvorschrift darstelle, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beantworten (BGE 139 IV 128 E.1.1.7; Ziff. 6.1). Da im vorliegenden Fall keine schweren Straftaten zur Diskussion standen, war die Telefonauswertung gestützt auf Art. 141 Abs. 2 StPO nicht verwertbar und aus den Akten zu weisen (Ziff. 6.3). Das Obergericht bejahte zudem die Unverwertbarkeit der gestützt auf die Telefonauswertung erlangten Folgebeweise.
Das hätte ich auch so gesehen.
Dann sind Strafanzeigen ungültige Umgehungen von Editionen? Mir scheint, dass bisweilen ob vermeintlicher Mikroprobleme das Gesamtgefüge aus den Augen verloren wird. Der Schutz dieser Rechtsgüter ist nicht Selbstzweck, er gewährleistet – ausgerechnet – vor allem die diesbezügliche Selbstbestimmung der Träger. Ein (im Übrigen: staatlicher) ‘Schutz’ gegen den Willen des Rechtsträgers verletzt seine Rechte mehr, als jeder damit abgewehrte vermeintliche Eingriff.
Der mündige Bürger kann und darf selber entscheiden, wer sein Haus betritt und er kann auch die Folgen daraus tragen. So wie er entscheiden kann, keine Aussage zu machen oder ein Geständnis abzulegen. Mit dem Auto zu fahren oder ein Taxi zu nehmen. Einen Kaufvertrag abzuschliessen oder es sein zu lassen.
Wenn wir dem Bürger diese Kompetenz absprechen, dann haben wir wirklich ein Problem von staatstragender Bedeutung.
i.c. war es ja nicht einmal der Träger des Rechts, der eingewilligt hat. Ich habe auch nichts dagegen, dass ein Rechtsträger in die Beschränkungen seiner Rechte einwilligt (solange er weiss, was das bedeutet; i.c. bedeutete es die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Sohn). Wenn das Gesetz aber einen schriftlichen Befehl vorsieht, ist dieser halt einfach auch dann zu erlassen, wenn rechtswirksame Einwilligung vorliegt.
Er muss nicht wissen, was es konkret bedeuten wird. Er muss wissen, was es bedeuten *kann*. In casu, dass die Polizisten im Rahmen des erlaubten Zutritts Wahrnehmungen machen könnten, welche sie zu Weiterungen mit entsprechenden Konsequenzen veranlassen könnten. Ob es konkret dann gar nichts, der unerlaubt aufgestellte Geräteschuppen, die Hanfplantage (oder die illegale Waffensammlung) des Sohnes oder der nicht artgerecht gehaltene Amurtiger ist, kann keine Rolle spielen, denn das sind alles Risiken, die der Berechtigte für seinen Rechtsbereich im Moment des Einverständnisses ohne Probleme abschätzen kann.
Das Gesetz regelt nur die Anwendung von Zwang, nicht die Modalitäten der Freiwilligkeit. Was Sie fordern ist ein generelles Verbot, sein Einverständnis zu Massnahmen zu geben, die auch mit Zwang durchgesetzt werden könnten. So etwas gibt es weder im Strafrecht noch sonstwo in unserer Rechtsordnung, und das ist auch gut so. Zwang soll die Ausnahme sein, nicht die Regel (auch nicht die erzwungene Regel).
Der Bürger ist grundsätzlich mündig und frei, und zwar auch frei, eine Dummheit zu machen. Er ist frei im Handeln, nicht frei von Konsequenzen.
Artikel 244 StPO, auf den sich das Urteil in E2.3 stützt, enthält durch die Wortfolge “dürfen nur mit” zunächst eine Voraussetzung – oder logisch gesprochen eine notwendige Bedingung – für eine polizeiliche Hausdurchsuchung. Sie lautet, dass eine Einwilligung der berechtigten Person oder einer der in Abs. 2 umschriebenen Umstände vorliegen muss. Die Hausdurchsuchung kann dann, muss aber nicht, legal sein: Der Umkehrschluss, dass nämlich die Durchsuchung legal sei, wenn eine Einwilligung oder eine der drei Umstände in Abs. 2 vorliege, ist nicht gültig. Die Hausdurchsuchung ist also auch dann nicht legal, wie MZ anmerkt, wenn bloss eine Einwilligung vorliegt.
Artikel 245, nennt eine zweite notwendige Bedingung für die Hausdurchsuchung, den Durchsuchungsbefehl. Die erste notwendige Bedingung war durch die Einwilligung der hausbesitzenden Eltern des Beschwerdeführers erfüllt, die zweite wegen des fehlenden Durchsuchungsbefehls nicht, also war die Hausdurchsuchung illegal und die Auffassung des Amtsgerichtspräsidenten zutreffend.
Am von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt ändert der unbegründete (die Wortfolge “kann dies sinnvollerweise nur bedeuten” zeigt allenfalls eine appellatorische Kritik an) Hinweis auf die Botschaft zur StPO, der im übrigen durch das Wort “entweder” die Rechtslage unzutreffend wiedergibt, nichts.
kj: Wie nahe liegen welche Gründe?
@daz: das ist nicht mein Punkt. Ich bin der letzte, der den Bürger vor sich selbst schützen will. Vor dem Staat will ich ihn schützen und das wollte eigentlich auch die BV und die StPO.
daz: Wichtger Einwand, Entgegnung: Ob ein Bürger auf Rechte verzichten kann, ist hier nicht entscheidend, sondern ob seine blosse Einwilligung dazu ausreicht. Dies ist unter anderem beim Verzicht auf das Schweigerecht eines beschuldigten Verhafteten gegenüber der vernehmenden Polizei ebenfalls nicht der Fall: Da braucht es zusätzlich zu seiner Einwilligung noch eine polizeiliche Belehrung, dass er ein Schweigerecht hat, dass alles, was er sagt, gegen ihn verwendet werden kann und wird, und dass er einen Anwalt beiziehen kann, wenn er möchte. Eine Einwilligung reicht nicht, denn ohne Belehrung ist der Rechtsverzicht ungültig. Zur Begründung wird i.d.R. argumentiert, sonst könnne ein rechtsunkundiger seine ihm zustehenden Rechte nicht kennen und folglich auch nicht wahrnehmen.
Vorliegend ist die Einwilligung des Berechtigten an der durchsuchten Wohnung oder eine der drei Umstände in Art. 244 Abs 2 StPO CH eine notwendige (“dürfen nur mit”), keine hinreichende Bedingung für die Hausdurchsuchung: Gem Art 245 StPO Abs 1 ist ein vorgängiger Hausdurchsuchungsbefehl erforderlich, ausser es liegt Gefahr im Verzug vor. Dass die Botschaft des Bundesrats zu einem anderen Artikel der StPO das Gegenteil besagt, wie kj zitiert, trifft zu.
Nochmals angeschaut:
E1.4.3 erweist sich auch als rechtsfehlerhaft, und zwar urteilsrelevant jetzt, sofern sie sich auf die von kj hilfreicherweise zitierte Passage aus der Botschaft zu stützen versucht, und dies aus folgendem Grund:
Der Satz “Weil”, so wie er in der Botschaft steht, zeigt zwar nach dem Wort “auch” grammatikalisch eine zweite hinreichende Bedingung (den Hausdurchsuchungsbefehl) für die Hausdurchsuchung an. Daraus schliesst das Gericht, dass auch die erste Bedingung (die Einwilligung) hinreichend sei für die Legalität der Hausdurchsuchung. Es kommt aber nie auf die grammatikalisch-formale, sondern stets auf die tatsächliche Aussagekraft einer Botschaft an, sonst wären Schreibfehler oder Versehen bei der Überarbeitung, die formal eine andere Aussage als die ursprüngliche begründen, fatal.
Der Teilsatz “Weil…” der Botschaft hebt die besondere Stellung der gesuchten Person hervor. Im weiteren Satzverlauf muss also eine qualifizierende Aussage, eine Aussage, die die sonst (bei nichtgesuchten Personen) geltende Regelung noch verschärft, kommen: Eine Auslegung, nach der der sonst gesetzlich vorgeschriebene Hausdurchsuchungsbefehl nicht mehr nötig sei, würde mit einer Verschärfung im Widerspruch stehen. Der Satz kann also nicht im Sinne des Hausdurchsuchungsbefehls als einer zweiten hinreichenden, sondern nur im Sinne dessen als einer zweiten *notwendigen* Bedingung für eine legale Hausdurchsuchung stehen.
Es ist von einem Versehen des Gerichts auszugehen.
Und noch etwas:
Da die Eltern Opfer eines Einbruchs waren und sich freiwillig gemeldet hatten und kooperierten, keine Gefahr im Verzug und mithin keine Ausnahme gegeben war, wäre es der Polizei möglich gewesen, das Zimmer zu versiegeln, die Familie über die ihr zustehenden Rechte aufzuklären, den gesetzlich vorgeschriebenen Hausdurchsuchungsbefehl wie bei jedem anderen Vergehen ausstellen zu lassen, das Zimmer gestützt darauf zu durchsuchen und dadurch verwertbare Beweismittel zu zu erlangen. Sie hat dies alles nicht getan und musste sich deshalb nicht wundern, wenn der Amtsgerichtspräsident aus Mangel an Beweisen zu Gunsten des Angeklagten entschied.
Das fehlende Augenmass gegenüber den Einbruchsopfern ist das eine. Es war der Polizei durchaus zuzumuten, ihre Pflicht zu tun. Die Solothurnerinnen und Solothurner bezahlen sie dafür, und dafür dürfen sie einen Gegenwert erwarten.
Ich glaube der vorliegende Fall birgt durchaus ein paar Besonderheiten, die Fragen an der Rechtmässigkeit des Zutritts – zumindest des offenbar zweiten Zutritts – aufwerfen. Aber eben konkrete Fragen, nicht solche grundsätzlicher Art. Für mich ist die Frage hier etwa, ob beim zweiten Zutritt allenfalls die Einwilligung erschlichen wurde, sofern es gar nicht mehr um den Einbruchdiebstahl ging, sondern um die Erhebung von Beweisen gegen den Sohn. Aber um das zu beurteilen ist der Sachverhalt viel zu kursorisch.
Solange es zumindest auch noch um den Einbruchdiebstahl ging, hat der Beschuldigte meines Erachtens einfach Pech gehabt und er hätte seine Eltern andernfalls entsprechend instruieren sollen, wenn er gewollt hätte, dass diese ihr Recht zu seinen Gunsten ausüben. Angesichts der doch eher stattlichen Waffensammlung wäre dies für ihn auch erkennbar und zumutbar gewesen.
Grundsätzlich jedenfalls reicht das Einverständnis des Berechtigten für eine Durchsuchung (Art. 244 Abs. 1 StPO) und die StPO statuiert weder gegenüber dem Bürger eine generelle rechtliche Unverbindlichkeit seines Einverständnisses noch gegenüber den Behörden eine Pflicht, jedes Betreten von Räumlichkeiten zwangsweise vorzunehmen.
daz: Im Gesetz über die Ein- und Ausfuhr von Raubkatzen aus Asien steht: Artikel 1:
Abs. 1: Die Einfuhr ist nur zum Zweck der Haltung in zertifizierten Zoos, die die artgerechten Haltungsvoraussetzungen nachgewiesen haben, erlaubt.
Abs. 2: Der Nachweis der artgerechten Haltungsvoraussetzung in Zoos ist nicht nötig, wenn die Tiere in einem Zirkus von ausgebildeten Dompteuren eingesetzt werden.
Artikel 2: Vor der Einfuhr ist dem zuständigen Zollbeamten die Einfuhrbewilligung des Bundesamtes für Tierschutz vorzuweisen.
Der Nachweis der artgerechten Haltung in Zoos reicht nicht aus, es ist eine Raubkatzeneinfuhrbewilligung erforderlich. Die Einwilligung der berechtigten Person reicht nicht aus, es ist ein Hausdurchsuchungsbefehl erforderlich.
Ich empfehle hier einen Weiterzug zum EGMR. Das ist ein durchaus problematischer Entscheid.