Fremde Selbstgefährdung

Das Bundesgericht wendet sich auf Beschwerde der Eltern eines Drogenopfers gegen die Einstellung eines Strafverfahrens (Art. 117 und 128 StGB) gegen die Person, die dem Opfer die Drogen geliefert hatte (BGer 6B_879/2010 vom 24.03.2011). Den Grundsachverhalt fasst das Bundesgericht wie folgt zusammen:

A. hielt sich im Sommer 2005 für einen Sprachkurs in Bournemouth, Grossbritannien, auf. Am 11. Juli 2005 nahm er nach Schulschluss zusammen mit seinen Kollegen eine Getränkemischung aus Fanta und Gamma-Butyrolactone (GBL) zu sich. Da er als Einziger nach ca. 10 bis 15 Minuten keine Wirkung verspürte, konsumierte er eine zweite Portion des Mischgetränks. Dieses wandelte sich im Körper in Gamma-Hydroxybutyrate (GHB) um. A. starb wenige Stunden später infolge des Drogenkonsums (E. A).

Das Bundesgericht stützt seinen Entscheid auf BGE 134 IV 149 E. 4.5 S. 153 f.) und hält fest:

Sorgfaltswidrig handelt auch, wer bei einer fremden Selbstgefährdung mitwirkt, sofern er das Risiko kraft überlegenen Sachwissens besser erfasst oder erkennt, dass das Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt. In diesem Fall schafft er ein Risiko, das vom Willen des Opfers nicht mehr gedeckt und dessen Verwirklichung daher dem Mitwirkenden zuzurechnen ist (E. 3.3).

Das Bundesgericht erblickt eine mögliche Sorgfaltspflichtverletzung des “Lieferanten” darin, dass das Opfer die Tragweite seiner Entscheidung zum Betäubungsmittelkonsum nicht überblickte:

Ob das Opfer die Tragweite seines Entschlusses hinsichtlich einer möglichen Überdosierung überblickte, ist aufgrund der wenig präzisen Orientierung durch den Beschwerdegegner 2 zweifelhaft. Denn die Aussage, die Substanz wirke “wie ein Joint” ist interpretationsbedürftig. So kann sie etwa auf den berauschenden Effekt, die Gefährlichkeit oder die Dosierung bezogen werden. Aus den Informationen des Beschwerdegegners 2 darf nicht ohne Weiteres geschlossen werden, eine Drittperson habe die von dem konsumierten Stoff ausgehende Gefahr kennen müssen. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass das Opfer gerade im Hinblick auf die Zusage “Wirkung wie ein Joint”, auf die Harmlosigkeit der Droge in der vom Beschwerdegegner 2 angebotenen Dosis vertraute und sich deshalb auf den Konsum einliess. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist für die Frage der Sorgfaltspflichtverletzung nicht allein entscheidend, ob der Beschwerdegegner 2 gegenüber dem Opfer überlegene Kenntnisse zu GBL besass. Musste der Beschwerdegegner 2 erkennen, dass das Opfer die Tragweite seiner Entscheidung zum Betäubungsmittelkonsum nicht überblickte, so kann dies ebenfalls zu einer Sorgfaltspflichtverletzung gereichen (E. 3.4.1).

Das mag ja alles richtig sein. Es ist aber kaum davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer dies erkennen konnte und musste. Ein Strafverfahren ist bekanntlich auch dann einzustellen, wenn die Voraussetzungen für eine Anklage nicht ausreichen. Zu diesem Schluss werden die kantonalen Behörden dann wohl kommen und (zum dritten Mal!) einstellen. Ich gehe davon aus, dass das Bundesgericht die Beschwerde nur deshalb gutgeheissen hat, weil die Begründung des angefochtenen Entscheids oben erwähnte Variante der Sorgfaltspflichtverletzung nicht enthielt.