Frist für “Entsiegelungsgesuch”?
Das Bundesstrafgericht hatte sich mit einem abgewiesenen Siegelungsgesuch zu befassen (BStGer BB.2017.207 vom 07.12.2017). Die Bundesanwaltschaft hatte das Gesuch abgewiesen, weil es verspätet gestellt worden sei.
Das Bundesstrafgericht bestätigt diese Auffassung und verweist auch auf den eben erschienenen Vernehmlassungsentwurf zur StPO-Anpassung (vgl. meinen früheren Beitrag):
Das Gesetz enthält keine Frist, innert welcher die Siegelung verlangt werden muss; auch die Botschaft äussert sich dazu nicht (…). Die Rechtsprechung und Lehre gehen, soweit ersichtlich, einhellig davon aus, dass dies sofort zu geschehen hat, das heisst in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Sicherstellung der Aufzeichnungen oder Gegenstände. Die Auffassung, wonach der Antrag auf Siegelung unmittelbar zu stellen ist, entspricht dem Beschleunigungsgebot (Art. 5StPO) und wurde vom Bundesgericht auch in Bezug auf Art. 248 Abs. 1StPO bestätigt (vgl. zum Ganzen die Urteile des Bundesgerichts 1B_546/2012 vom 23. Januar 2013, E. 2.3 m.w.H.; 1B_516/2012 vom 9. Januar 2013, E. 2.3; Beschluss des Bundesstrafgerichts BB.2016.246 , BP.2016.42 vom 17. Juni 2016, E. 2.2). Entsprechend sieht der Revisionsentwurf StPO sogar vor, Art. 248 Abs. 1StPO mit dem Begriff unverzüglich nach Kenntnis” zu ergänzen, um in Übereinstimmung mit Lehre und Praxis klarzustellen, dass das Gesuch um Siegelung in unmittelbarem zeitliche Zusammenhang mit der Sicherstellung erfolgen” muss (…). Die Staatsanwaltschaft ist befugt, über den Siegelungsantrag und insbesondere über dessen Rechtzeitigkeit zu befinden (Urteil des Bundesgerichts 1B_546/2012 vom 23. Januar 2013, E. 2.2) [E. 3.1].
Lehre und Rechtsprechung sind in dieser Frage angesichts des Gesetzestexts mehr als bemerkenswert, zumal das Gesetz keine Frist enthält und auch keinen “Antrag”. Sachgerecht wäre doch eher, dass die Siegelung so lange geltend gemacht werden kann, als mit der Durchsuchung der Aufzeichnungen noch nicht begonnen wurde (was bei elektronischen Aufzeichnungen ja regelmässig Monate dauert). Sicher nicht sachgerecht ist, dass die Staatsanwaltschaft über die Rechtzeitigkeit und damit über die Gültigkeit des “Siegelungsantrags” entscheiden kann. Der Siegelungsantrag ist im Übrigen kein Antrag, sondern eine Erklärung. Über ein Siegelungsrecht wäre zudem auch rechtswirksam zu belehren, was regelmässig nicht geschieht. Und schliesslich: macht sich eine Bank nicht strafbar oder zumindest zivilrechtlich haftbar, wenn sie zu edierende Unterlagen nicht siegelt?
Es ist ein Trauerspiel mit dieser Siegelung, und das Bundesgericht hat es uns letztlich eingebrockt, weil es zumindest in den frühen Jahren nicht bemerkt hat, dass die StPO in dieser Hinsicht nicht identisch ist mit den alten kantonalen Regelungen, und einfach munter weitergemacht hat mit der alten ‘Verspätungsdoktrin’ und deren kläglichen Korrektiv der extensiven Fristenauslegung. Dabei ist es im Gesetz ja eigentlich durchaus clever konzipiert.
Die Siegelung muss doch nur schon deshalb sofort erklärt werden, weil schon das Vervielfältigen von Daten teil des Eingriffs ist. Danach ist es zu spät für eine Siegelung, der zu verhindernde Eingriff ist bereits erfolgt. Ich gehe mit Ihnen im Ergebnis einig, dass unter “sofort” der Zeitraum bis zum faktischen Eingriff fallen sollte. Ist der Eingriff noch nicht erfolgt, dann kann man noch Siegeln und damit den Eingriff verhindern. Ist der Eingriff erfolgt, dann ist es schlicht zu spät. “Unverzüglich nach Kenntnis” ändert nichts daran, dass es häufig ganz einfach zu spät für eine eigentliche Siegleung sein wird. Die Siegelung soll *den Eingriff an sich* verhindern.
Das Wesentliche ist aber, dass sich dadurch de facto gar nicht viel ändert: Die “Siegelungserklärung” wird dann einfach zum “Aussonderungsbegehren” nach Art. 264 Abs. 3 StPO und das Verfahren läuft analog zur Siegelung. Der einzige Unterschied ist, dass eben schon rein faktisch zu diesem Zeitpunkt der initiale Eingriff in die Privatsphäre bereits erfolgt ist und somit nicht verhindert werden kann, dass der Staat die Daten oder Unterlagen – überhaupt – anschauen kann. Man kann allfällige geschützten Daten oder Unterlagen nur noch in dem ‘Bearbeitungsstadium’ in dem sie dann eben sind, entfernen lassen.
Das scheint mir alles recht ausgewogen und sogar praktikabel. Mir ist daher völlig unerklärlich, wieso einerseits teilweise versucht wird, ein schon rein faktisch nicht mehr taugliches Siegelungsrecht zeitlich auszudehnen (der Eingriff ist zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt), und andererseits teilweise wieder die durch solche ‘verspäteten’ Gesuche zum Ausdruck gebrachten Aussonderungsbegehren – gesetzeswidrig – einfach als verspätete Siegelungsanträge pauschal verworfen werden. Der Gesetzgeber hat (für einmal) beides bedacht. Wieso nicht für einmal einfach das tun, was im Gesetz vorgesehen ist?
Zu Ihrem Nachsatz: Die Bank macht sich meines Erachtens höchstens der ungetreuen Geschäftsbesorgung strafbar, wenn sie in ihren AGB nicht vorgesehen hat, Kundendaten auf behördliche Anordnung hin herausgeben zu dürfen. Die Bank hat an der Kundeziehung (jedenfalls im Modellfall) selber gar keine Geheimnisrechte gegenüber den Behörden (Art. 47 Abs. 5 BankG) und damit eigentlich auch kein Siegelungsrecht. Überlegungen, aus Geschäftsführung ohne Auftrag zu Gunsten des Kunden aktiv zu werden, erübrigen sich sodann aus den AGB. Es wäre meines Erachtens zumindest äusserst leichtsinnig, wenn die Banken sich hier selektiv in einer Siegelungspflicht sähen, weil sie dadurch zumindest ihren diesbezüglihen Haftungsausschluss gegenüber den Kunden in Frage stellen würden (welcher Kunde dürfte dann eine solche Siegelung erwarten und welcher nicht?).
Man könnte sich noch fragen, ob es seitens der Bank nicht eine (allenfalls versuchte) Begünstigung oder Beihilfe zur Geldwäscherei wäre, wenn sie ohne Rechtspflicht für den Kunden siegelt: Die Bank hat sich im Verhältnis zum Kunden gegenüber Behörden über ihre AGB aus der Pflicht genommen (soweit sie dies angesichts der regulatorischen Pflichten überhaupt müsste). Dadurch hat sie Behörden gegenüber schlicht kein Recht mehr, sich für diese Kunden in diese Verfahren einzubringen. Tut sie dies trotzdem, dann ist das einfach nur Kollusion.
Ihre Idee stünde im Übrigen auch in einem sonderbaren Verhältnis zur geldwäschereirechtlichen Meldepflicht. Auch diesbezüglich dürfte die Haftungsabwägung bei den Banken schnell gemacht sein.