Frist verpasst – so what?

Nicht nur Anwälte verpassen bisweilen Fristen, manchmal passiert das auch Staatsanwälten, die dann aber über Möglichkeiten verfügen, den Kopf – mit gütiger Hilfe des Bundesgerichts – aus der Schlinge zu ziehen. Eine der edelsten Aufgaben des Bundesgerichts ist ja schliesslich, Verfahrensfehler der Strafverfolger zu heilen.

Ein solches Beispiel ergibt sich – je nach dem, wie man den Entscheid zu verstehen hat – aus einem neuen Urteil des Bundesgerichts (BGer 1B_241/2022 vom 27.06.2023). Daraus geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft die Frist für ein Entsiegelungsgesuch verpasst hat. Der Grund lag angeblich darin, dass die Polizei die versiegelten Gegenstände an den falschen Ort verbracht hat, was ja wohl eher nicht stimmen kann, zumal die Staatsanwaltschaft die versiegelten Gegenstände für ein Entsiegelungsgesuch nicht braucht. Jedenfalls hat die Staatsanwaltschaft dann Monate später einfach eine neue Hausdurchsuchung angeordnet und neu sicherstellen lassen, was offenbar noch nicht sichergestellt war. Sie hat sich also quasi einfach eine neue Frist verschafft, jedenfalls für die zweite Sicherstellung.

Das Bundesgericht erwägt ausführlich, wieso eine neuerliche Sicherstellung möglich sei und dass die ursprünglich gesicherten Informationsträger gegenüber neuen Zwangsmassnahmen nicht immun seien (vgl. E. 6.2). Wieso es diese Erwägungen macht, ist nicht klar, denn es schliesst mit einem völlig anderen Sachverhalt und stellt fest, dass es im neuen Entsiegelungsgesuch um neue Unterlagen ging, die noch gar nicht sichergestellt waren:

Im vorliegenden Fall ist der Polizei bei der gebotenen unverzüglichen Übermittlung der am 27. Oktober 2021 sichergestellten und gesiegelten Asservate an die Staatsanwaltschaft ein Fehler unterlaufen. Dieser hatte nach den Feststellungen der Vorinstanz zur Folge, dass die Staatsanwaltschaft für diese Asservate das Entsiegelungsgesuch nicht mehr rechtzeitig (innert 20 Tagen seit der Sicherstellung) habe stellen können. Am 20. Januar 2022 seien dann aber nicht dieselben Unterlagen ein zweites Mal sichergestellt worden. Vielmehr seien die bei der ersten Hausdurchsuchung erhobenen und versiegelten Asservate, darunter einschlägige Montage-Regierapporte, in den Untersuchungsakten geblieben. Diese hätten sich folglich nicht mehr in den durchsuchten Räumlichkeiten befunden. Bei der zweiten Hausdurchsuchung seien neu u.a. die Einsatzpläne des Personals sowie Arbeitsverträge und Bewerbungsunterlagen sichergestellt worden.  

Wie sich aus den Akten ergibt, beschränkt sich das hier streitige Entsiegelungsgesuch vom 26. Januar 2022 auf die am 20. Januar 2022 neu sichergestellten Asservate. Auch die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft beantragt gemäss Ziffer 1 ihres Rechtsbegehrens ausschliesslich die Entsiegelung der am 20. Januar 2022 erhobenen Unterlagen. Diese wurden (gestützt auf Art. 244-248 StPO) gesetzeskonform sichergestellt und versiegelt. Am 26. Januar 2022 wurde diesbezüglich ein fristkonformes Entsiegelungsgesuch gestellt; ein Rechtsmissbrauch ist nicht ersichtlich. 

Dass die Vorinstanz das Entsiegelungsgesuch wegen angeblichen Rechtsmissbrauchs dennoch abwies, verstösst gegen Bundesrecht. 

Wenn es also gar nicht um die alten Unterlagen ging, verstehe ich nicht, was uns das Bundesgericht sagen will. Und ich verstehe nicht, was den Beschwerdeführer störte und ich verstehe nicht, wie das ZMG auf die Idee kam, das neue Entsiegelungsgesuch abzuweisen.