Fristauslösendes Telefonat?

In einem zur Publikation in der Amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil kassiert das Bundesgericht einen Entscheid der Anklagekammer SG, welche eine Beschwerde gegen eine Kontensperre als verspätet qualifiziert hatte (BGE 1B_537/2020 vom 25.11.2020). Die Vorinstanz hatte ein informelles Telefongespräch, in dem die förmlich noch nicht eröffnete Kontensperre thematisiert worden war, als fristauslösend qualifiziert. Indem die Verteidigung nicht umgehend ein Akteneinsichtsgesuch gestellt hat, was erst nach 11 Tagen der Fall war, habe sie die Frist rechtsmissbräuchlich hinausgezögert:

Das informelle Telefongespräch vom 17. Juni 2019 stellte (unbestrittenermassen) keine fristauslösende Zustellung der Zwangsmassnahmenverfügung im Sinne des Gesetzes dar. Dass die Verteidigung elf Kalendertage danach ein Akteneinsichtsgesuch gestellt hat, um detaillierte Kenntnis von der fraglichen Verfügung (inklusive Kontensperre) zu erhalten, erscheint durchaus normal und kann jedenfalls nicht als rechtsmissbräuchliches “Hinauszögern” eines Fristenlaufes interpretiert werden (E.5.5).

Abgesehen davon, dass oft genug Verteidigung an sich schon als rechtsmissbräuchlich angesehen wird: was hätte denn die Verteidigung bzw, die Betroffene in einem solchen Fall davon, eine Frist hinauszuzögern?

Aber egal. Das Bundesgericht wäre nicht das Bundesgericht, wenn es nicht – wieso auch immer – noch ein Hintertürchen offen liesse:

Zwar kann die Beschwerdefrist in gewissen Konstellationen schon mit der tatsächlichen Kenntnisnahme der anfechtbaren Verfügung ausgelöst werden, selbst wenn keine förmliche Eröffnung erfolgt ist. Wenn die Direktbetroffenen ausreichend bekannt sind, muss jedoch in allen Fällen von Art. 384 lit. b StPO eine förmliche Zustellung der Verfügung erfolgen, welche die Beschwerdefrist auslöst. Im vorliegenden Fall besteht keine Ausnahme vom gesetzlich vorgesehenen Fristbeginn. Für die Staatsanwaltschaft war klar ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin als Kontoinhaberin von der streitigen Kontensperre direkt betroffen und damit beschwerdebefugt war. Ihr gegenüber konnte lediglich eine förmliche Zustellung der Verfügung bzw. die am 10. Juli 2019 erfolgte Akteneinsicht den Fristbeginn nach Art. 384 lit. b i.V.m. Art. 396 Abs. 1 StPO auslösen. Dass die Untersuchungsleitung der mitbetroffenen Bank eine provisorische Stillschweigeverpflichtung auferlegt und gleichzeitig auf eine förmliche Eröffnung der Zwangsmassnahmenverfügung gegenüber der Kontoinhaberin vorläufig verzichtet bzw. nur telefonisch darüber kommuniziert, darf im Ergebnis nicht dazu führen, dass das gesetzlich verankerte Beschwerderecht der Kontoinhaberin (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO; s.a. Art. 29a BV) faktisch vereitelt oder erheblich erschwert wird. Eine abweichende altrechtliche Praxis (insbesondere des Bundesstrafgerichtes bzw. des Bundesgerichtes in Rechtshilfefällen und vor Inkrafttreten der StPO), wonach bei Kontensperren bereits eine blosse Mitteilung der Bank an die Konteninhaber fristauslösend wirken könne, wurde in der Literatur mit Recht kritisiert und in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtes korrigiert (oben zitiertes Urteil 1B_210/2014 E. 5.4; vgl. auch Guidon, BSK StPO, Art. 396 N. 5) [E. 5.6, Hervorhebungen durch mich]. 

DIe Ausnahme sind somit “gewisse Konstellationen”. Und wir wissen nun aber wenigstens, dass im konkreten Fall eine solche Konstellation nicht vorlag. Und wir wissen, dass die alte Praxis (fristauslösende Mitteilung der Bank an die Kontoinhaberin) weiterhin bundesrechtswidrig ist.

Hinweis für die Praktiker: Eine Kostennote einzureichen könnte sich auch im Verfahren vor Bundesgericht lohnen. Hier hat das Bundesgericht die geltend gemachte Parteientschädigung zwar als nicht angemessen qualifiziert. Es hat aber dennoch deutlich mehr als Übliche zugesprochen, nämlich CHF 4,000.00 (vgl. dazu das entsprechende Reglement).