Fristberechnung neuerdings nach Arbeitstagen?

Das Bundesgericht äussert sich in Fünferbesetzung zum Fristenlauf nach Art. 228  StPO (Haftentlassungsgesuch; BGer 1B_304/2013 vom 27.09.2013). Es hält weiterhin dafür, dass Faxeingaben nicht fristauslösend sind und kommt unter Hinweis auf Art. 90 StPO zum doch einigermassen erstaunlichen Schluss, dass die Fristen nach Art. 228 Abs. 2 StPO “grundsätzlich” nicht nach Kalender- sondern nach Arbeitstagen zu berechnen seien (vgl. dazu auch Art. 110 Abs. 6 StGB):

Der Ansicht des Beschwerdeführers, aus der Zulässigkeit einer mündlichen Erklärung des Haftentlassungsgesuches zu Protokoll ergebe sich “umso mehr”, dass jede Zustellung per Fax oder E-Mail ebenfalls bereits fristauslösend (im Sinne von Art. 228 Abs. 1-2 StPO) wirken müsse, kann nicht gefolgt werden. Er verkennt, dass Sendungen per E-Mail, Fax oder SMS (jedenfalls ohne elektronische Signatur im Sinne von Art. 110 Abs. 2 StPO) diverse Unsicherheiten (insbesondere betreffend die Identifizierung des Absenders, die Verifizierung der Unterschrift und die Feststellung des Zeitpunktes des Empfangs) nach sich ziehen, die bei eingeschriebener Post, elektronischer Eingabe nach Art. 110 Abs. 2 StPO oder mündlicher Erklärung zu Protokoll (insbesondere durch den Verteidiger) wegfallen. Die Auslegung der Vorinstanz entspricht damit den Vorschriften des Gesetzes, und sie stützt sich auf sachliche Gründe (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtes 1B_160/2013 vom 17. Mai 2013 E. 2.1). Wenn gleichzeitig ein schriftliches Gesuch per Post und eine Kopie davon (vorab) per Fax abgeschickt werden, wirkt nach dem Gesagten nicht der Eingang des Fax fristauslösend, sondern der Posteingang. Hinzu kommt, dass die Dreitagesfrist von Art. 228 Abs. 2 StPO sich grundsätzlich nicht auf Kalender-, sondern auf Arbeitstage bezieht (vgl. Art. 90 StPO). Das Gesetz verlangt jedenfalls nicht, dass die Staatsanwaltschaften in Bezug auf mögliche Haftentlassungsgesuche, die kurz vor oder während dem Wochenende gestellt werden könnten, ständig einen Pikettdienst organisieren müssten (E. 2.4, Hervorhebungen durch mich).

Was das Bundesgericht schlicht ignoriert ist, dass Haftverfahren ohne Fax in der Praxis überhaupt nicht innert der EGMR-Fristen durchzuführen sind. Staatsanwaltschaft, Verteidigung und ZMG wären ohne Fax mit den Fristen hoffnungslos überfordert und arbeiten daher mit diesen ach so unzuverlässigen Faxgeräten. Der Verteidigung würde man bestimmt Rechtsmissbrauch vorhalten, wenn sie sich in einem Haftverfahren auf die gesetzlichen Zustellungsregeln berufen würde.

Daran, dass für die Staatsanwaltschaft andere Regeln gelten, haben wir uns ja gewöhnt. Der Hammer ist nun aber, dass sich Fristen – jedenfalls für die Staatsanwaltschaft – neuerdings nach Arbeitstagen berechnen und dass so getan wird, als verfügten die Staatsanwaltschaften an Wochenenden nicht längst über Pikettdienste (auch wenn das Gesetz dies angeblich nicht verlangt). Der real existierende Pikettdienst der Staatsanwaltschaft ist übrigens im Gegensatz zu denjenigen der Verteidiger bezahlt.

Zuletzt noch der Hinweis, dass die oben zitierte Erwägung m.E. nicht einmal notwendig war. Die Staatsanwaltschaft hat im zu beurteilenden Fall ja auch nach Kalendertagen rechtzeitig gehandelt.

Und zuallerletzt dann halt auch noch dies: wer an einem Freitag ein Haftentlassungesuch per Post aufgibt, soll sich nicht darüber beschweren, wenn es ohne Erfolg bleibt. Ist die Sache derart dringend, was ja durchaus sein kann, kann man das Gesuch ja auch elektronisch übermitteln oder per Boten überbringen, am besten nach telefonischer Vorankündigung. Eine solche Zustellung wäre ja dann fristauslösend, jedenfalls für die Fristen, die neu nach Arbeitstagen zu berechnen sind.