Fristen, Fristen, Fristen
Das Leben von Anwälten richtet sich zu einem nicht unerheblichen Teil nach den Fristen, die ihnen die Gesetze oder die Richter vorgeben. Die Justiz ist in Sachen Kontrolle und Einhaltung der Fristen gnadenlos. Dies musste eben wieder ein Kollege feststellen, dessen Beweis für die Rechtzeitigkeit seiner Eingabe an das Bundesgericht nicht genügte (BGer 6B_569/2023 vom 31.07.2023). Vermutlich hat er die Frist gewahrt, aber strikt beweisen konnte er es nicht:
Il incombe dès lors au recourant d’apporter la preuve stricte du respect du délai de recours au Tribunal fédéral. A cet égard, le mandataire du recourant a produit une photographie, laquelle ne montre que le coin supérieur droit de l’enveloppe avec la fenêtre laissant apparaître le destinataire du pli, soit en l’occurrence le Tribunal fédéral et, en arrière-plan, la boîte postale de La Poste Suisse. Bien que les métadonnées y annexées indiquent que cette photographie a été prise le 1er mai 2023 à 23h56, ces éléments ne permettent pas d’apporter la preuve stricte du respect du délai de recours de 30 jours. En effet, à la différence d’une séquence audiovisuelle, ils ne permettent pas d’établir que l’enveloppe contenant le recours a bien été glissée dans la boîte postale à la date et à l’heure indiquées et que le pli était déjà fermé au moment de la prise du cliché photographique. Par ailleurs, le mandataire du recourant n’apporte aucun autre élément probatoire, en particulier pas de témoins qui seraient en mesure d’attester d’un tel dépôt au moment indiqué (E. 1.2. Hervorhebungen durch mich).
OK, es ging ja auch nur um eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten und einen Landesverweis. Was ich bis heute nicht begreife: wieso obliegen Beweispflicht und Beweislast den Rechtssuchenden?
Für den Klienten gäbe es einen einfachen Ausweg: Gesuch um Wiederherstellung der Frist mit der Begründung, er sei nicht hinreichend vertreten gewesen / sein RA hätte sich grob pflichtwidrig verhalten.
@Jkl: Das könnte man versuchen, aber funktionieren würde es jedenfalls vor Bundesgericht kaum, oder?
Die richtige Lösung wäre wohl gewesen, ein Video über das Einwerfen des beidseitig aufgenommenen, verschlossenen Couverts zuaufzunehmen und dieses noch vor Mitternacht der Vorinstanz und der Kanzlei-Mailadresse des Bundesgerichts zuzusenden. So habe ich dies vor einigen Jahren praktiziert, ohne dass im Mon Repos jemand auf die Idee gekommen wäre, der Beweis sei ungenügend.
Mit der Einführung von Justitia 4.0 dürfte diese (Beweis)Problematik wohl nicht mehr auftreten.
Oder erst recht, vgl. E-BEKJ:
Art. 26
1 Ist eine Plattform am Tag, an dem eine Frist abläuft, nicht erreichbar, so verlängert sich die Frist bis zu dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Plattform erstmals wieder erreichbar ist.
2 Fällt der Folgetag auf einen Samstag, einen Sonntag oder einen vom Bundesrecht oder vom kantonalen Recht anerkannten Feiertag, so endet die Frist am nächstfolgenden Werktag. Massgebend ist das Recht des Kantons, in dem die verfahrensleitende Behörde ihren Sitz hat.
3 Die Nichterreichbarkeit der Plattform ist von der Benutzerin oder dem Benutzer glaubhaft zu machen.
4 Während die Plattform nicht erreichbar ist, sind die betroffenen Benutzerinnen und Benutzer nicht verpflichtet, die Plattform zu nutzen.
In den verbleibenden vier Minuten bis Mitternacht kann der findige RA ein Video des Einwurfs aufnehmen, den Hashwert des Files berechnen und mit dem an den Briefkasten mitgebrachten Laptop den Haswert des Videofiles in ein PDF setzen und dieses PDF mit einem qualifizierten Zeitstempel versehen.
Bevor man (wie in diesem Fall wohl zu Unrecht) das Bundesgericht basht, sollte man sich vor Augen führen, wo der (krasse) Fehler wirklich lag: Beim Rechtsvertreter. Als Rechtsanwalt DARF ein solcher Fehler schlicht nicht passieren. Fristen einhalten können sollte eine Grundfähigkeit eines jeden Juristen sein.
@HP Seipp: Wer ohne Fehler ist …
Auch wenn Sie nun de RA bashen… den Fehler ausbaden muss der Klient… das ist rechtsstaatlich bedenklich.
@HO Seipp: rechtsstaatlich bedenklich und prozessrechtlich falsch.
Ein RA, der quasi bis zur letzten Minute mit seiner Eingabe zuwartet (oder diese bis dahin nicht fertiggestellt hat), hat wohl einige organisatorische Probleme (zu lösen)…..
@Anonymous. Vielleicht ja, aber wer ein wenig Praxiserfahrung hat, hat bestimmt schon Situationen erlebt, in denen eine Eingabe erst auf den allerletzten Drücker überhaupt möglich war. Wir setzen uns die Fristen nicht selbst.
necessitas probandi incumbit ei qui agit…….. vermutlich gibt es eine gesetzliche Vermutung in der StPO ?