Gäfgen v. Germany
Die HRRS-Ausgabe Juli 2008 enthält eine bearbeitete Ausgabe von EGMR Nr. 22978/05 – Urteil der 5. Kammer vom 30. Juni 2008 (Gäfgen v. Deutschland). In diesem Entscheid bestätigt der EGMR wohl den absoluten Charakter des Folterverbots nach Art. 3 EMRK, relativiert aber die Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots bei reiner Androhung von Folter. Die Leitsätze des HRRS-Bearbeiters Kasten Gaede lauten wie folgt:
- Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK kann – unabhängig vom Verhalten des Betroffenen – auch zur Rettung von Leben und selbst im Fall eines Notstand für den gesamten Staat nicht gerechtfertigt werden.
- Wird eine Person unmittelbar und realistisch mit Folter bedroht, stellt dies (wie hier im “Fall Gäfgen”) einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK mindestens in Form der unmenschlichen Behandlung dar.
- Zu den Bedingungen, in denen im Einzelfall die Opferstellung wegen einer Verletzung des Art. 3 EMRK wegen einer hinreichenden Kompensation durch den verletzenden Vertragsstaat entfallen kann.
- Nur die Verwertung von Beweismitteln, die unmittelbar unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK erlangt worden sind, führt stets zur Unfairness des Verfahrens, in dem die Beweise verwertet worden sind.
- Der Verwertung von Beweisen, die mittelbar auf Grund eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK erlangt worden sind, steht eine Vermutung entgegen, dass auch diese Verwertung die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zerstört. Zu einem Einzelfall, in dem eine solche Fernwirkung hinsichtlich mittelbar erlangter Beweismittel insbesondere wegen eines späteren, äußerlich von Reue getragenen weiteren Geständnisses nach einer qualifizierten Belehrung verneint worden ist und in dem diese Beweismittel lediglich ergänzend verwertet worden sind.