Gaius Fraudulus, bitte outen!

Kürzlich habe ich hier darauf hingewiesen, dass es die gesetzliche Pflicht der Verteidigung ist, einseitig die Interessen der beschuldigten Personen zu vertreten.

Heute hat sich ein Leser unter dem Pseudonym Gaius Fraudulus wie folgt dazu geäussert:

Wo liegt denn hier das Problem? Der Richter sagte einzig, dass ihm die Verteidigung eines in seinen Augen Schuldigen Mühe bereiten würde und er genau deshalb NICHT auf dieser Seite arbeite.

Der Art. 128 StPO ist nebenbei eine echt gute Ausrede, um die materielle Wahrheit auszuhebeln und sich dann selbst noch einzureden, dass man nur seine Pflicht, mithin etwas angeblich Gutes getan habe. Ich nenne dies schlicht und einfach Selbstbetrug.

Aber eben, genau deshalb arbeite ich auch dort, wo ich nach einem zumindest interessanten Ausflug in die Advokatur schlussendlich gelandet bin.

Weiterhin viel Spass in eurer Blase …

Dazu meine Gedanken:

  • Dass es einem Richter oder wem auch immer Mühe bereiten könnte, Strafverteidiger zu sein, verstehe und akzeptiere ich selbstverständlich ohne jeden Abstrich. Mich wundert aber sehr, wie man die Verteidigung eines Beschuldigten, von dessen Schuld man selbst überzeugt ist, aus ethischen Gründen nicht führen könnte. Eine solche Auffassung kann man haben. Als Richter müsste man aber wissen, dass sie diametral dem Grundsätzen des kontinental-europäischen Strafverfahrensrechts widerspricht, die mit dem reformierten Strafprozess vor weit über 100 Jahren eingeführt wurden.
  • Und nun kommt ein Gaius Fraudulus, der Richter oder Gerichtsschreiber zu sein scheint, und qualifiziert die gesetzliche Pflicht der Verteidigung zur einseitigen Interessenwahrung als “eine echt gute Ausrede, um die materielle Wahrheit auszuhebeln” und als Selbstbetrug. Das – so wird Gaius Fraudulus bestimmt einwenden – gilt natürlich nur, wenn die Verteidigung wider besseres Wissen die zur Anklage gebrachten Vorwürfe bestreitet. Das kann nur sagen, wer nicht begriffen hat, wie die sog. materielle Wahrheit nach StPO gefunden wird. Das kann nur sagen, wer die Wahrheit kennt, bevor der Prozess begonnen hat.

Sollten Sie, lieber Gaius Fraudulus, an einer Strafkammer tätig sein, bitte ich Sie, sich zu outen, damit die Verteidigerinnen und Verteidiger wissen, mit wem sie es zu tun haben und wie sie damit umgehen wollen. Ich gehe natürlich nicht davon aus, dass Sie den Mut haben, sich zu outen. Diesfalls würde ich aber erwarten, mal über Ihre Einstellung nachzudenken und über eine Weiterbildung nachzudenken.