Gebotene Fürsorge oder unzulässiger Druck?
Das Bundesgericht verpasst eine weitere Chance, beschuldigte Personen vor unzulässigem Druck bei Einvernahmen zu schützen und spricht sich in einem Fall, wie er sich tagtäglich in mehr oder weniger bedenklicher Form wiederholt, für die Verwertbarkeit von Beweismitteln aus (BGer 6B_336/2013 vom 14.02.2014, Fünferbesetzung). Ob der Entscheid dem zu beurteilenden Sachverhalt materiell gerecht wird, ist schwer zu sagen. Einfacher ist es darauf hinzuweisen, dass es in formeller Hinsicht einfache Mittel geben würde, um unzulässige Einflussnahme auf das Aussageverhalten zu vermeiden. Diese werden von den Strafbehörden in einer Hartnäckigkeit abgelehnt, die nur darauf schliessen lässt, dass vieles im Argen liegt.
Im vorliegenden Fall ging es darum, dass eine Belastungszeugin Y. anlässlich der Konfrontationseinvernahme ihre bei der Polizei gemachte Aussage nicht bestätigte und einen Mittäter – horribile dictu! – entlastete. Anstatt das zur Kenntnis zu nehmen und zu protokollieren, wurde die Betroffene über mögliche rechtliche Konsequenzen “belehrt” und die Einvernahme wurde unterbrochen, damit sich die Betroffene mit der Verteidigung beraten konnte. Es wurde ihr – was offenbar nicht gesichert ist – sogar angedroht, dass ihr das abgekürzte Verfahren verweigert würde, wenn sie bei der entlastenden Aussage bleiben würde. Ergebnis war, dass die gute Frau den Mitbeschuldigten wieder belastet hat und ihr abgekürztes Verfahren mit einer teilbedingten Strafe kriegte. Die Wahrheit und die Gerechtigkeit haben einmal mehr obsiegt.
Das Vorgehen der Staatsanwältin beurteilt das Bundesgericht als korrekt oder jedenfalls nicht als unzulässig. Es stützt sich dabei ausdrücklich auch auf Annahmen und bestätigt damit die unsägliche Praxis, dass unzulässiger Druck nur dann angenommen wird, wenn er hieb- und stichfest von der betroffenen Person bewiesen werden könnte, was nie der Fall sein wird, weil das die Prozessordnung oder die Verfahrensleitung gar nicht zulässt.
Indem die Staatsanwältin, nachdem Y. von der ersten Sachdarstellung abwich, die Straftatbestimmungen der falschen Anschuldigung und der Begünstigung erneut vorhielt, hat sie in vertretbarer Weise auf mögliche rechtliche Konsequenzen hingewiesen und versucht, den Widerspruch zu klären. Es kann angenommen werden, dass sie (auch) auf eine Bestätigung der den Beschwerdeführer belastenden Aussagen abzielte. Ob dies für eine Überführung des Beschwerdeführers überhaupt nötig war, muss hier nicht beantwortet werden. Insgesamt kann ihr Vorgehen nicht als unzulässige Unterdrucksetzung bezeichnet werden (E. 2.4).
Auch die Unterbrechung der Einvernahme war unbedenklich, ja ein Gebot der Fairness:
An der Zulässigkeit der Befragung ändert der Umstand nichts, dass die Einvernahme für die Dauer von 40 Minuten unterbrochen wurde. Vielmehr wurde dadurch beiden Beschuldigten die Möglichkeit eingeräumt, sich mit ihren Verteidigern zu besprechen. Das Teilnahmerecht der Verteidigung bei polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Einvernahmen (vgl. Art. 159 Abs. 1 und Art. 147 StPO) soll unter anderem ermöglichen, dass die beschuldigte Person betreffend ihr Schweigerecht beraten und vor unzulässiger Druckausübung seitens der Behörden geschützt wird. Dem Verteidiger kommt eine Kontrollfunktion inne. Ihre Wahrnehmung ist Teil der anwaltlichen Fürsorgepflicht.
Auch die Drohung mit der Verweigerung des abgekürzten Verfahrens war zulässig:
Obwohl dieser Einwand sowohl vor dem erstinstanzlichen Gericht wie auch im Berufungsverfahren erhoben worden war, nahm die Staatsanwaltschaft dazu keine Stellung und setzten sich auch die Gerichte damit nicht auseinander. Der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf hätte geradezu nach einer Erklärung vonseiten der Staatsanwaltschaft gerufen. Dies umso mehr, als Y. nur knapp zwei Monate nach der Belastung des Beschwerdeführers am 15. August 2012 im abgekürzten Verfahren zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde (vgl. erstinstanzliches Urteil S. 9).
Es kann offenbleiben, ob der Vorwurf berechtigterweise erhoben wird. Selbst wenn er zuträfe, läge darin keine nach Art. 140 StPO verbotene Beweiserhebungsmethode. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Aussageverhalten von Y. zu Beginn der Konfrontationseinvernahme Anlass gab, das Strafverfahren nach Art. 311 Abs. 2 StPO auf den Tatbestand der Begünstigung auszudehnen. Ein solches Vorgehen wäre bereits aus prozessökonomischen Gründen zu prüfen gewesen und hätte ermöglicht, die Beschuldigte in einem einzigen Verfahren zur Rechenschaft zu ziehen (vgl. auch Art. 333 StPO). Die Ausdehnung der Untersuchung hätte ihrerseits die Frage nach dem abgekürzten Verfahren tangiert. Nach Art. 359 Abs. 1 StPO entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Durchführung des abgekürzten Verfahrens endgültig und die Verfügung muss nicht begründet werden. Der Staatsanwaltschaft kommt dabei ein erhebliches Ermessen zu (Bertrand Perrin, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 2 zu Art. 359 StPO). Die Staatsanwältin konnte mithin das möglicherweise angekündigte abgekürzte Verfahren nachträglich in Frage stellen. Insgesamt erscheint ihr Vorgehen nicht unzulässig im Sinne von Art. 140 StPO (E. 4.5).
Ich wünschte mir, dass die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts hin und wieder solchen Einvernahmen – ohne Wissen der Beteiligten – beiwohnen könnten. Ich würde mich wundern, wenn danach solche Entscheidungen ergehen würden. Was mich vor alle ärgert ist, dass man nicht einmal über Kautelen nachdenkt, die solche Fälle (oder auch bloss entsprechende Rügen) verhindern. In dieser Beziehung ist der EGMR deutlich weiter. Der vorliegende Fall schafft es hoffentlich nach Strassburg.
Unabhängig von der Frage, ob bei Einvernahmen teils (bewusst oder unbewusst) falsch gehandelt wird, hat das BGer in diesem konkreten Einzelfall richtig entschieden:
Denn zum einen ist es eine Pflicht des Vernehmenden und eine Schutznorm für den Verdächtigen, dass er auf die Strafbarkeit einer falschen Verdächtigung hingewiesen wird. Dies eben auch gerade für den Fall, wenn er eine Aussage widerruft. Bevor also der Vernehmende die Frage stellt, weshalb die Aussage widerrufen wird bzw. was denn jetzt richtig ist, hat er den Verdächtigen – im Hinblick auf die mögliche Selbstbelastung – zu belehren. Dies kann natürlich den Effekt haben, dass der Verdächtige trotzdem bei seiner vorherigen Version bleibt, die dann hoffentlich richtig ist.
Im gegenständlichen Fall war der Verdächtige aber durch einen Verteidiger vertreten und erhielt zudem noch 40 Minuten Besprechungszeit. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wo hier eine unzulässige Beeinflussung liegen soll.
Zur Frage des vereinfachten Verfahrens: Es ist offenbar nicht bekannt, was diesbezüglich besprochen wurde. Doch wäre es wohl nicht verwunderlich, wenn die Staatsanwaltschaft im Fall des Widerrufs der bisherigen Aussage zur Ansicht kommen würde, dass nun eben aufgrund des nicht mehr so klaren Sachverhaltes kein vereinfachtes Verfahren mehr möglich ist.
Fehler passieren und es liegt sicher, wie in jeder Branche, eine Tendenz vor, diese unter den Teppich zu kehren, weshalb es legitim ist, die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden kritisch zu hinterfragen. Aber bitte in den Fällen, wo es auch genügend Anlass dazu gibt! Andernfalls laufen wir Gefahr, ein überreguliertes und überwachtes System zu schaffen, bei dem (mutmassliche) Formfehler zu Verfahrenseinstellungen oder auch nur -leerläufen führen, wie dies bspw. im us-amerikanischen System der Fall ist.
Klar, der Entscheid des Bundesgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ich sage ja nur, dass unser System keine hinreichenden Garantien vorsieht, dass das Recht auch auf den “wahren” Sachverhalt angewendet wird. Ich habe zu viele Fälle erlebt, in denen unzulässiger Druck ausgeübt wurde, ohne es beweisen zu können. Das System verunmöglicht solche Beweise und fördert damit unzulässige Methoden. Das ist das was ich kritisiere. Ob der konkrete Fall genügend Anlass gab zu hinterfragen weiss ich wahrscheinlich ebenso wenig wie Hugentobler. Ich werde daher weiterhin hinterfragen, wo andere keinen Anlass sehen mögen.