Ge$etzgebung und Ju$tiz
Prozessieren ist selbst dann teuer, wenn man auf einen Prozess verzichtet.
Wer etwa erstinstanzlich verurteilt wird, muss für die schriftliche Begründung seines Urteils bezahlen, was je nach Gericht durchaus etliche tausend Franken kosten kann. Meldet der Betroffene aber zugleich Berufung an, zum Beispiel weil er zuerst die Begründung lesen will, bevor er sich endgültig für oder gegen die Berufung entscheidet, zahlt er gemäss Bundesgericht auch noch für die Abschreibung des Verfahrens vor Obergericht (BGer 6B_469/2015 vom 17.08.2015). Er zahlt also für einen Prozess, den er gar nicht führen will:
Nach Ausfertigung des begründeten Urteils übermittelt das erstinstanzliche Gericht die Anmeldung zusammen mit den Akten dem Berufungsgericht (Art. 399 Abs. 2 StPO). Damit wird das Verfahren beim Berufungsgericht rechtshängig und die Verfahrensleitung geht vom erstinstanzlichen Gericht auf das Berufungsgericht über (…). Die Partei, die Berufung angemeldet hat, reicht dem Berufungsgericht gemäss Art. 399 Abs. 3 StPO innert 20 Tagen seit Zustellung des begründeten Urteils eine schriftliche Berufungserklärung ein. Folgt innert Frist keine Berufungserklärung, tritt das Berufungsgericht in einem schriftlich begründeten Entscheid nicht auf die Berufung ein (Art. 403 Abs. 1 lit. a und Abs. 3 StPO; Urteil 6B_968/2013 vom 19. Dezember 2013 E. 2.1 mit Hinweisen). Gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO tragen die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens. Als unterliegend gilt auch die Partei, auf deren Rechtsmittel nicht eingetreten wird oder die das Rechtsmittel zurückzieht (E. 3).
Der Entscheid ist nicht zu beanstanden. Er ist im Einklang mit dem Gesetz. Ob dieses aber verfassungskonform ist, wage ich zu bezweifeln (was im Staate Schweiz ja an sich unerheblich ist). Es ist darauf ausgelegt, einen Entscheid mit Kostenrisiko anzufechten, dessen Begründung man noch gar nicht kennt. Es ist darauf ausgerichtet, aus Kostengründen auf Begründung und Rechtsmittel zu verzichten.
Man muss aber sagen, dass die Strafkammern des Zürcher Obergerichts keine Kosten erheben, wenn die Berufung innert der zwanzigtägigen Frist zur Einreichung der Berufungserklärung explizit zurückgezogen wird (vgl. z.B. http://www.gerichte-zh.ch/fileadmin/user_upload/entscheide/oeffentlich/SB150014-O1.pdf mit Hinweis auf ZR 110 [2011] Nr. 37). So hat man die Möglichkeit, Berufung anzumelden, die Begründung zu studieren und dann ohne Kostenfolge über das Festhalten an der Berufung zu entscheiden. Das dürfte verfassungskonform sein.
Das finde ich vorbildlich, danke. Andere Obergerichte sind da weniger nachsichtig.