"Geheimakten" bei der Kantonspolizei Solothurn
Die Solothurner Zeitung berichtet über ein Strafverfahren vor dem Obergericht des Kantons Solothurn, bei dem die Verteidigung mit Erfolg ein Gutachten kritisiert hat. Unter anderem stellte sich heraus, dass der Gutachter im Besitz einer Unfallskizze der Kantonspolizei war, die nicht in den Gerichtsakten war, was die Grundsätze der Aktenvollständigkeit und der Dokumentationspflicht verletzt und letztlich geeignet ist, aufgrund unvollständiger Information “Fehlurteile” zu produzieren. Leider ist immer wieder – und nicht nur im Kanton Solothurn – festzustellen, dass von der Polizei erstellte Akten nicht Eingang in die Gerichtsakten finden. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Sicher ist nur, dass es den genannten Grunsätzen widerspricht, die eigentlich verfassungsmässig garantiert wären.
Für die Verteidigung sind solche “Geheimakten” auch aus anderen Gründen besonders heikel. Sobald Anhaltspunkte für “Geheimakten” bestehen, stellt sich für die Verteidigung u.a. die Frage, ob sie für den Beschuldigten wohl entlastend oder belastend sein könnten, was die Verteidigung ja aber eben nicht weiss. Die Aktennahme zu beantragen ist daher unter dem Aspekt der anwaltlichen Sorgfaltspflicht gefährlich.
Erstaunlich ist, dass die Gerichte dieser Frage oft zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Eigentlich sollten sie ja in erster Linie sie dafür sorgen, dass ihre Urteile auf vollständiger Information und Dokumentation basieren. Was hier der anwaltlichen Sorgfalt verboten sein kann, ist der richterlichen geboten.