Geheimprozess im Kanton Solothurn
Im Kanton Solothurn findet zurzeit ein Mordprozess statt, von dem die Öffentlichkeit trotz eines umfassenden Sicherheitsdispositivs eigentlich nicht wissen darf, wo er stattfindet. Nun weiss man es aber trotzdem, und zwar vermutlich wegen des umfassenden Sicherheitsdispositivs. Das Öffentlichkeitsprinzip soll gewahrt werden, indem die Verhandlung für bestimmte Journalisten per Livestream übertragen wird. Ebenfalls nur per Stream dabei ist angeblich einer der Verteidiger. Wie er seine Berufspflichten erfüllen soll, weiss wohl nur er selbst. Dem Gericht scheint es jedenfalls egal zu sein.
Ich frage mich manchmal (als Person ohne juristisches Studium) kommt man sich als Rechtsanwalt nicht wahnsinnig verarscht vor das man 10 Jahre Ausbildung eigentlich für nichts macht, denn am Schluss hält sich eh kaum einer an das was im Studium vermittelt wurde?!?
@John: Man macht die Ausbildung ja nicht für nichts, sondern um überhaupt zu merken, dass man verarscht wird. Aber im Ernst: es ist tatsächlich einer der Punkte, die an einem zehren: Prinzipien gelten selbst dann wenig, wenn sie ausdrücklich im Gesetz stehen. Die Praxis sucht dauernd einzelfallgerechte Lösungen, die – in Abweichung schematischer Gesetzesanwendung – nach gesundem Menschenverstand richtig sein sollen. Schlimmste Beispiele finden ich im Haftrecht. Zwangsmassnahmen scheinen ohnehin besonders anfällig für “vernünftige” Lösungen zu sein. Übel auch die Umdeutung von Gesetzesvorschriften in sog. “Ordnungsvorschriften”, deren Missachtung keine Folgen hat.
@ john: ich glaube, das “problem”, dass theorie und praxis nicht immer ganz gleichschritt gehen, hat nicht nur das recht. In der medizin geht das doch ganz ähnlich. Man sagt nicht umsonst, dass anwalt und arzt sich im grunde ganz gut verstehen: es gibt prinzipien und faustregeln, man erhebt einen sachverhalt und dann wird subsumiert, was ermessen beinhaltet und nicht selten dazu führt, dass verschiedene fachkollegen sich über die “richtige” lösung streiten und die einen finden, die getroffene lösung sei ganz falsch und die anderen gerade umgekehrt. Sie sind nicht etwa arzt, herr john?
In der Medizin kann ich nicht Mitreden, da ich nicht Arzt bin. Ich denke aber schon das es da variablen zum Recht gibt. So verstehen wir immer noch Verhältnissmässig wenig davon wie ein Körper tatsächlich funktioniert. Entsprechend kann man sich natürlich dann auch immer wieder über Effekte von neuen Erkenntnissen streiten.
Im Strafrecht ist es gerade anders herum, obwohl man feststellt das zB die Repression in der Drogenpolitik gar nichts bringt ausser grossen Kostenaufwand hält man daran fest, gibts wohl in der Medizin auch, aber dort wohl eher als Ausnahme im Recht ist es die Regel soweit ich es nachvollziehen kann.
Ich bin lediglich interessierter (und immer mal wieder betroffener) Bürger der staunt was die Schweiz progpagiert und was Sie dann tatsächlich lebt….ich hielt einmal mehr von diesem Land…
@Kj
Gerade bei Zwangsmassnahmen, notabene beim Eingriff in die Grundrechte von aktuell noch Unschuldigen, staune ich desöfteren darüber was man für Argumente bemüht.
Die Einzige wahre Instanz ist das BGE, und auch hier staunt man immer mal wieder zu was für begründen man sich hinreissen lässt.
Schlussendlich ist es fast wie Lotterie, man weiss nie ob die eigene Rechtsposition tatsächlich geschützt wird, selbst bei Bezugnahme von Einschlägigen Fällen. Das ist stossend
@ John
“Die Einzige wahre Instanz ist das BGE, und auch hier staunt man immer mal wieder zu was für begründen man sich hinreissen lässt.”
Das habe ich nicht verstanden. Wieso sollen die Obergerichte der Kantone keine wahre Instanz sein?
Das BGE ist ja noch eine der wenigen korrigierenden Instanzen nur schon wegen der räumlichen und persönlichen Trennung.
In Kantonen wie Glarus zB die viel zu klein sein um tatsächlich interessenkonfliktfrei Behörden führen zu können, da jeder jeden kennt zB kann man von den Gerichten im Strafrecht nicht meh viel erwarten…da braucht man stetig das BGE, da solch kleine Kantone einfach nicht in der Lage sind Verfahren im gesetzlichen Rahmen zu führen im Hinblick auf Fristen, Organisation, Befangenheit usw
@John
Know the rules well so you can break them. Es ist im Grunde genommen so, dass es eine Bürgerpflicht sein sollte sich mehr für Gesetze und die Justiz als solches zu interessieren. Gerade deswegen, weil durch die Bank in Europa eine völlig verrechtlichte Gesellschaft vorliegt. Es kann, um hier zum blogspezifischen Thema Strafrecht & Strafverteidigung zu referieren, doch nicht sein,- dass so wenig Menschen in der Schweiz bekannt ist, dass Strafverfolgungsbehörden z.b. konsequent betriebene Aussageverweigerung und Nicht Kooperation vor ganz erhebliche Schwierigkeiten stellen. Oder, dass man sich bei einer Polizeikontrolle nicht selber belasten muss. Das tun Sie nämlich automatisch, wenn sie auf die Frage “Haben Sie Alkohol getrunken” antworten: “Ja, aber nur ein Bier”…….
@John “Ja, aber nur ein Bier” ist u.U. gar nicht so schlecht. Ich fahre persönlich gut damit. Zwar jedes Mal gelogen, weil ich praktisch nie Alkohol konsumiere, aber man liess mich bisher immer und ohne Weiteres ziehen. Aber es ist schon so: mit “Know the Rules” ist es in der Schweiz nicht weit her, und zwar auch bei den Strafbehörden.
@john
Ich vergass zu erwähnen, dass ein Verdächtiger auch die Unwahrheit sagen kann. Aber was einmal gesagt wurde, kriegt man nicht mehr aus der Akte raus. Das sind dann diese teilweise schwer erträglichen “sinngemäss” Formulierungen von etwas übereifrigen Polizeikollegen der unteren Dienstgrade mit denen sich u.U. später gut spielen lässt. Sofern der Verteidiger nicht nur gut im Rechnungen schreiben ist……
@Kj
Ja wenn die Polizei Anfangsverdacht und Rasterkontrollen nicht trennen kann oder will, muss Sie sich nicht wundern wenn Sie mit Lügen bedacht wird…Jeder halt so wie er kann….damit tuhen wir der Rechtstaatlichkeit aber keinen gefallen sondern freuen uns über unsere Schlitzohrigkeit….sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite und am Schluss leidet darunter der arme minderbemittelte ehrliche den er ist dem Gebaren Schutzlos ausgeliefert
Das ist gerade das gegen dessen was ich mir unter einem fairen Rechtsstaatlichen Verfahren vorstelle, eigentlich sollte uns das alle stören…
@ M. Maurer
Klar damit sind wir dann bei meiner These das Recht nur etwas für dumme und arme ist. Die anderen könne sich wehren oder sich entsprechende Verteidigung leisten.
Aber kommen wir damit dem Rechtstaatliche Anspruch das wir alle vor dem Gesetz gleich sind nach? Wohl eher weniger, der Pöbel wird stillgehalten und bestraft während dem sich andere Masslos bedienen und ungestraft davon kommen….dies endet meist in Revolutionen….
Revolution kaum, dazu funktioniert in der Schweiz das Prinzip des Teilens und Herrschens zu gut.