Geldgierige Justiz
Dass die Strafjustiz den Beschuldigten (und nur den Beschuldigten) immer stärkere Anreize gegen das Ergreifen von Rechtsmitteln setzt, ist bekannt und dürfte politisch überwiegend erwünscht sein. Unerträglich finde ich aber die gesetzliche Regelung, dass ein Beschuldigter auch noch für die schriftliche Begründung seiner Verurteilung zahlen muss. Dass dies nur für die erstinstanzlichen Urteil gilt, beweist, dass es dem Gesetzgeber allein darum ging, negative Anreize zu schaffen.
Einzelne Kantone haben nun versucht, die Kostenregelung auch auf die kantonalen Rechtsmittelinstanzen auszudehnen. Dem bereitet das Bundesgericht aber – offenbar nach hartem Ringen – ein Ende (BGer 6B_1053/2014 vom 03.12.2015, Fünferbesetzung):
Da sich die Begründungspflicht der Vorinstanz aus dem Bundesrecht ergibt (Art. 80 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 81 Abs. 1 lit. b und Art. 81 Abs. 3 lit. a StPO), darf sie die Höhe der Gebühr für das Berufungsverfahren nicht davon abhängig machen, ob sie ihr Urteil schriftlich begründen muss oder nicht. Diesbezüglich bleibt kein Platz für die analoge Anwendung des kantonalen Prozesskostengesetzes. Andernfalls würde das Bundesrecht umgangen. Demnach bleibt es bei den im vorab eröffneten schriftlichen Urteilsdispositiv – für den Fall des Verzichts auf eine schriftliche Begründung – festgesetzten Kosten von Fr. 2’200.– (E. 3.4).
Bestätigt hat das Bundesgericht aber, dass der Beschuldigte die erstinstanzlichen Kosten für die Begründung auch dann tragen muss, wenn sie von einer anderen Partei verlangt wurde. Die Begründung mutet reichlich gesucht an:
Zwischen dem tatbestandsmässigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten einer beschuldigten Person und den Kosten für die Urteilsbegründung besteht auch dann ein adäquater Kausalzusammenhang, wenn eine andere Partei die Begründung verlangt (E. 1.3.1).
Die Kosten trägt der Beschuldigte übrigens selbst dann, wenn er nur einen Teil des Urteils anficht:
Diese Ausnahmebestimmung [gemeint ist Art. 82 Abs. 3 StPO] findet keine Anwendung, wenn die beschuldigte Person ein begründetes Urteil verlangt oder ein Rechtsmittel ergreift (E. 1.3.2).
Rechtsmittel kann sich halt nicht jeder leisten und das ist auch gut so, sprach’s.
Wie sieht die Situation im Hinblick auf diesen von KJ besprochenen BGE wohl kostenrechtlich aus, wen die angeschuldigte Person bereits anlässlich der erstinstanzlichen Verhandlung ausdrücklich und unterschriftlich auf eine Begründung des Urteil verzichtete, um in den “Genuss” der Reduktion der erstinstanzlichen Entscheidgebühr zu. kommen.
Die Staatsanwaltschaft hat – in einem meiner Fälle in der oben beschriebenen Konstellation – einseitig eine Begründung Urteils verlangt (meines Erachtens rein schikanös) und diese nach Eingang des begründeten Begründung einen Tag später bei Berufungsinstanz “zurückgezogen” und mein Klient bleibt nun auf den gesamten erstinstanzlichen Kosten sitzen, obwohl er diese Mehrkosten nicht verursacht hat.
Ich habe in der Folge die Berufungsinstanz auf diesen Umstand hingewiesen und diese hat mir beschieden, dass das Obergericht – ohne auf meine Kritik einzugehen – keinen anfechtbaren Entscheid Entscheid in irgendeiner Form erlasse, sondern den Fall einfach ad acta legt -also sprach Zarathustra.
Nach meiner Meinung schlicht und ergreifend verfassungswidrig
Nach Bundesgericht wäre wohl auch das richtig. Alles eine Frage der adäquaten Kausalität.
Wenn die angeschuldigte Person “den Lauf der Dinge” gar nicht mehr beinflussen kann, kann man doch nicht mehr ernsthaft von adäquater Kausalität” sprechen.
…. noch etwas: mit ihrer faktischen “Entscheidverweigerung” verstösst die kantonale Berufungsinstanz m. E. überdies gegen die – verfassungsrechtlich verankerte – Rechtsmittelweg-Garantie und damit gegen den – ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten – Grundsatz des “fair trails”.
Ich bin (ver)fassungslos.