Gerichtsnotorische Beweiswürdigung
Das Bundesgericht bestätigt die Verurteilung eines Automobilisten wegen ungenügenden Abstands auf der Autobahn (BGer 6B_132/2012 vom 26.04.2012). Als einziges Beweismittel dienten (und genügten) die Aussagen eines Polizisten, der privat unterwegs war und den Beschwerdeführer angezeigt hatte.
Das Urteil enthält mehrere populärwissenschaftliche Erkenntnisse, die leider immer wieder anzutreffen sind:
Die Vorinstanz durfte auf die tatnäheren Aussagen des Zeugen A. vor erster Instanz abstellen, ohne den Grundsatz in dubio pro reo, den Anspruch auf ein faires Verfahren und das Willkürverbot zu verletzen. Denn die Erinnerung ist umso besser, je kürzer ein Ereignis zurückliegt, was gerichtsnotorisch ist (E. 2.4.2)
Auch wenn er kein Verkehrspolizist ist, verfügte er aufgrund seiner Ausbildung über eine gewisse Erfahrung, die ihm half, Distanzen einzuschätzen (E. 2.4.3)
Zudem kannte [der Zeuge] den Beschwerdeführer zuvor nicht. Er weckte seine Frau, eigens um die Verfehlungen schriftlich festzuhalten, was für ein gravierendes Ereignis spricht (E. 2.4.3).
Es leuchtet ein, dass der Zeuge fast 3 Jahre nach dem Vorfall vor Obergericht nicht mehr exakt wusste, ob sein Abstand 50 Meter betragen bzw. dass er früher von 60 bis 70 Metern gesprochen hatte (E. 2.4.3).
Die Vorinstanz erachtet die Aussage des Beschwerdeführers, er halte immer einen Abstand von einem halben Tacho ein, bei Regen sogar mehr, als Schutzbehauptung, weil er ein Interesse daran habe, den angeklagten Vorfall zu bestreiten. Diese Begründung ist entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung hinreichend (E. 2.4.4).
Für alle, die es nicht glauben wollen: Aussage gegen Aussage reicht grundsätzlich immer für eine Verurteilung.
> “Auch wenn er kein Verkehrspolizist ist, verfügte er aufgrund seiner Ausbildung über eine gewisse Erfahrung, die ihm half, Distanzen einzuschätzen”
Se non e vero e ben trovato …
Es wäre ja interessant, wenn der Zeuge in vergleichbaren Situationen bezüglich den konkret zugebilligten Fähigkeiten getestet worden wäre. Diese einfach anzunehmen ist imho willkürlich.
Manchmal schüttle ich nur den Kopf über die ja zuweilen scheinfadigen Urteilsbegründungen des Bundesgerichts. Im vorliegenden Fall wird m.E. der Grundsatz in dubio pro reo u.v. weitere Grundsätze musterbeispielhaft verletzt. Alles andere entspricht nicht der Vernunft.
Aber hier kann man dem Bundesgericht m.E. keinen Vorwurf machen. Aufgrund seiner Kognition konnte es wohl nicht anders entscheiden. Mich nerven einfach die Floskeln, die bei der Würdigung von Aussagen immer wieder verwendet werden. Warum soll zum Beispiel eine “Schutzbehauptung” eines Beschuldigten nichts Wert sein? Was ausser einer “Schutzbehauptung” kann er denn von sich geben, wenn als einziges Beweismittel eine belastende Aussage vorhanden ist? Warum gilt ein Widerspruch gegen eine solche Aussage immer nur als “Schutzbehauptung”? “Schutzbehauptungen” können doch auch wahr sein, oder nicht? Oder wirft man einem Beschuldigten schon vor, dass er sich überhaupt verteidigt?
Ja, da stimm ich Dir vollumfänglich zu kj. Nur darf die Rechtsprechung nicht vergessen, dass in diesem Fall ausschliesslich die belastende Aussage von Herrn xy zur Verurteilung geführt hat. Die Kognition darf nicht höher gewichtet werden als die Aussage des Bürgers, der ja ohnehin sich verteidigen darf bzw. muss. Schutzbehauptungen sind nur dann bewiesen, wenn offenkundig ist, dass diese nicht zutreffen können. Dies ist ja bei weitem nicht der Fall.