Geschätzte Schuldsvermutung

Wie schwer es die Unschuldsvermutung in schweizerischen Strafverfahren hat, belegt ein neuer Entscheid des Bundesgerichts eindrücklich (BGer 6B_587/2014 vom 12.08.2014). Sachrichterlich zu beurteilen war u.a. die Frage nach dem Alter von jungen Frauen auf pornografischen Bildern. Die Vorinstanz kam in einem Mehrheitsbeschluss zum Ergebnis, die Darstellerinnen seien noch nicht 16-jährig. Da es sich dabei um eine Tatsachenfeststellung handelte, war die Kognition des Bundesgerichts beschränkt. Sein Ergebnis formuliert es wie folgt:

Zuzustimmen ist dem Beschwerdeführer, dass das Alter der Darstellerinnen aufgrund deren Anonymität nicht mit Sicherheit bestimmt, sondern nur geschätzt werden kann. Dies lässt jedoch die vorinstanzliche Feststellung zum Alter der Darstellerinnen nicht willkürlich erscheinen, auch wenn man aufgrund der Argumente des Beschwerdeführers – wie es das erstinstanzliche Gericht und die Minderheit der Vorinstanz getan haben – zu der Auffassung gelangen kann, die Mädchen könnten 16 Jahre oder älter sein. Da die Mehrheit der Vorinstanz aufgrund der bei den Akten befindlichen Bilder ohne Restzweifel vertretbar zur gegenteiligen Auffassung gelangte, liegt mangels willkürlicher Beweiswürdigung auch keine Verletzung des Grundsatzes “in dubio pro reo” vor (E. 2.4.2).

Die Crux der Kognitionsbeschränkung des Bundesgerichts liegt eben darin, dass die oberen kantonalen Gerichte “in dubio pro reo” gar nicht anwenden müssen. Sie können sogar bewusst falsch entscheiden, einfach nicht krass falsch oder eben willkürlich. Die Kognitionsbeschränkung hat damit nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Verfahren der unteren Instanzen.