Gesetzgeberische Abgründe

Die heutige Medienmitteilung der Rechtskommission des Nationalrats belegt eindrücklich, wie orientierungslos der Gesetzgeber insbesondere im Bereich des Strafrechts agiert, das scheinbar für jedes Problem unserer Zeit herhalten muss:

 

07.428 n Pa.Iv. Stamm. Strafrechtsrevision rückgängig machen bezüglich Strafensystematik

08.431 n Pa.Iv. Fraktion RL. Geldstrafe. Abschaffung oder Subsidiarisierung
Kurz nachdem am 1. Januar 2007 die umfassende Revision des allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches (StGB) in Kraft getreten war, wurde Kritik laut. Diese betrifft insbesondere das neu eingeführte System der nach Tagessätzen berechneten Geldstrafen und gemeinnützigen Arbeit, welche die kurzen Freiheitsstrafen ersetzt haben. Dieses System funktioniere nicht oder habe zumindest nicht die gewünschte Wirkung. Deshalb verlangt eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Stamm (
07.428), die Revision bei den für Verbrechen und Vergehen geltenden Strafen sowie entsprechend bei den Übertretungen rückgängig zu machen. Eine parlamentarische Initiative der freisinnig-demokratischen Fraktion (08.431) will das StGB so ändern, dass die Geldstrafe abgeschafft wird oder nur noch subsidiär zu einer Freiheitsstrafe und zu gemeinnütziger Arbeit zur Anwendung kommt. Die Kommission hat die Vorprüfung der beiden Initiativen begonnen. Sie hat weiter davon Kenntnis genommen, dass die Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafen durch Geldstrafen und gemeinnützige Arbeit in Erfüllung eines vom Nationalrat in der Herbstsession überwiesenen Postulates (08.3381 n Po. Sommaruga Carlo. Evaluation des Tagessatzsystems im Strafgesetzbuch) vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement evaluiert wird.
Die Kommission ist der Ansicht, dass zumindest punktueller Revisionsbedarf besteht. Sie ist jedoch auch der Meinung, dass Änderungen am geltenden Recht nicht derart dringend sind, dass der laufenden Evaluation vorgegriffen werden sollte. Es ist zum heutigen Zeitpunkt verfrüht, darüber zu beschliessen, ob das geltende Strafensystem grundsätzlich revidiert werden soll, wie dies die beiden Initiativen fordern. Die Kommission beschloss deshalb, ihre Beratungen zu den parlamentarischen Initiativen auszusetzen, bis erste Ergebnisse der Evaluation vorliegen. Diese werden bis Ende 2010 erwartet.

06.481n Pa. Iv. Fraktion V. Obligatorische Nachbetreuung bei Sexualverbrechern
Die Kommission beantragt mit 13 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung, dieser parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Bei mittelschweren oder schweren Fällen wird die betroffene Person stets zu einer Strafe oder einer freiheitsentziehenden Massnahme verurteilt; danach ist die Freilassung lediglich provisorisch und kann mit Bedingungen oder Überwachungsmassnahmen verknüpft werden; zudem ist die Bewährungszeit verlängerbar. Eine Kommissionsminderheit ist der Ansicht, dass das Prinzip einer obligatorischen Kontrolle – bei Bedarf mit Ausnahmen – klarer festgelegt werden muss als dies heute der Fall ist.

06.482 n Pa. Iv. Fraktion V. Strafverschärfung bei Vergewaltigung
Die Kommission beantragt mit 12 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen, dieser parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Die Initiative verlangt eine Erhöhung des Mindeststrafmasses auf fünf Jahre Freiheitsentzug im Falle von Vergewaltigung (190 StGB) und Schändung (191 StGB), wenn diese Taten durch mehrere Täter gleichzeitig beziehungsweise in Gruppen begangen werden. Die Kommissionsmehrheit stellt in Frage, ob durch die Erhöhung der Mindeststrafe die Prävention verbessert würde. Sie verweist aber auf die bald kommende Antwort des Bundesrates auf das Postulat von Nationalrat Maurice Chevrier (
 05.3443 Bandenunwesen. Sensibilisierungskampagne und Anpassung des Strafrechtes), die eine allgemeine Prüfung des Bandenunwesens zum Gegenstand hat. Eine Minderheit will dagegen mit der Erhöhung der Mindeststrafe der Tatsache Rechnung tragen, dass die Täter, welche in Gruppen handeln, besonders gefährlich sind und die Tat für die Opfer in diesem Fall noch schlimmer ist.

06.472 n Pa. Iv. Hess Bernhard. Aufhebung der Rassismusstrafnorm
Die Kommission beantragt mit 16 zu 7 Stimmen bei einer Enthaltung, dieser parlamentarischen Initiative, welche die Aufhebung von Artikel 261bis des Strafgesetzbuches (Rassismusstrafnorm) zum Ziel hat, keine Folge zu geben. Die Kommissionsmehrheit ist der Ansicht, dass diese Bestimmung gerechtfertigt ist: sie schützt die Würde der durch Rassendiskriminierung betroffenen Personen, indem sie solche Diskriminierungen in der Öffentlichkeit als strafbar erklärt. In der Praxis haben die Gerichte diesen Artikel bis anhin mit der nötigen Zurückhaltung angewendet und so findet eine befriedigende Interessenabwägung mit der Meinungsfreiheit statt. Eine Minderheit will der Initiative Folge geben. Ihrer Meinung nach schränkt die Rassismusstrafnorm die Meinungsfreiheit zu stark ein.

Netzwerkkriminalität
Die Kommission nahm Kenntnis vom Bericht des Bundesrates vom Februar 2008 über die Netzwerkkriminalität, in dem es um die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Provider und die Kompetenzen des Bundes bei der Verfolgung von Netzwerkdelikten geht. Ebenfalls Kenntnis genommen hat sie von den verschiedenen bereits unternommenen und noch geplanten Massnahmen zur wirksameren Bekämpfung der Netzwerkkriminalität. Die RK-N beschloss einstimmig, eine im Jahr 2002 von der damaligen Nationalrätin Aeppli eingereichte parlamentarische Initiative (
 02.452 Kinderpornografie im Internet. Zentrale Ermittlung und Strafverfolgung) abzuschreiben. Die Kommission ist der Ansicht, dass die seit der Einreichung dieser Initiative eingesetzten Mittel sowie die in der neuen Strafprozessordnung vorgesehene Ermittlungskompetenz des Bundes ausreichen.