Gesetzliche Haftverfahrensfristen sind blosse Ordnungsfristen

Nicht zum ersten Mal zieht das Bundesgericht die neue Schweizerische Strafprozessordnung zur Auslegung kantonalen Rechts heran. In BGer 1B_94/2010 vom 22.07.2010 erkennt es, dass es sich bei den Fristen von § 113d StPO/TG bzw. eben von Art. 227 Abs. 2 StPO um blosse Ordnungsfristen handelt, deren Verletzung materiell keine Konsequenzen für den Betroffenen hat:

Die Frist von drei Tagen gemäss § 113d Abs. 2 StPO/TG hat denselben Zweck wie jene von vier Tagen nach Art. 227 Abs. 2 StPO. Sie soll es der Vorinstanz ermöglichen, vor Ablauf der Haftdauer diese zumindest provisorisch zu verlängern. Dies hat die Vorinstanz hier mit Verfügung vom 25. Februar 2010 getan. Sie hat darin die Untersuchungshaft einstweilen bis zum Entscheid über das Haftverlängerungsgesuch als zulässig erklärt. Die Frist von drei Tagen bezweckt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht, für den Inhaftierten die Ungewissheit darüber zu beenden, ob die Haft über die ursprünglich angeordnete Dauer hinaus verlängert werde. Diese Funktion kommt dem haftrichterlichen Entscheid zu, welcher entweder – wie hier – noch innerhalb der ursprünglich angeordneten Haftdauer oder – bei provisorischer Verlängerung der Haft – jedenfalls kurz danach ergeht. Es besteht deshalb kein sachlicher Grund, bei Missachtung der Frist von drei Tagen nach § 113d Abs. 2 StPO/TG die Verwirkung des Rechts auf Haftverlängerung anzunehmen. Ein derartiger formeller Mangel führt nach der Rechtsprechung nicht zur Haftentlassung, sofern die materiellen Haftvoraussetzungen gegeben sind. Vielmehr hat es bei der Feststellung der Verletzung der EMRK bzw. der Bundesverfassung sein Bewenden (BGE 116 Ia 60 E. 3b S. 65; 114 Ia 88 E. 5d S. 92 f.; Urteile 1P.495/2005 vom 14. September 2005 E. 2.3, in: SJ 2006 I S. 57; 1P.42/2005 vom 10. Februar 2005 E. 3.2, in: Pra 2005 Nr. 84 S. 628). Ein Hafthindernis hätte im Übrigen selbst dann nicht bestanden, wenn der Untersuchungsrichter das Haftverlängerungsgesuch nach Ablauf der ursprünglich angeordneten Haftdauer eingereicht hätte. Diesfalls hätte die Vorinstanz die Haft neu anordnen können (BGE 109 Ia 320 E. 3e S. 324; Urteile 1P.230/2000 vom 8. Mai 2000 E. 2b und c, in: Pra 2000 Nr. 145 S. 849; 1C.5/1999 vom 23. Oktober 2000 E. 2b).
Nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz handelt es sich bei der Frist von drei Tagen gemäss § 113d Abs. 2 StPO/TG danach um keine Verwirkungs-, sondern eine Ordnungsfrist. Die Vorinstanz durfte somit die Haft verlängern, obgleich der Untersuchungsrichter das Haftverlängerungsgesuch einen Tag zu spät gestellt hatte (E. 3.3.2).
Entsprechend hat das Bundesgericht die Beschwerde teilweise gutgeheissen:
Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutgeheissen. Es wird festgestellt, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf Freiheitsentzug auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise im Sinne vonArt. 5 Ziff. 1 EMRK und Art. 31 Abs. 1 BV verletzt worden ist. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
Diese Rechtsprechung ist unbefriedigend. Sie kann den Betroffenen unter unzumutbaren Zeitdruck führen, denn die ihm gesetzten richterlichen Fristen sind selbstverständlich Verwirkungsfristen. Da sie aber grundsätzlich erstreckbar sind, hat der Betroffene es selbst zu verantworten, wenn er sich unter Zeitdruck gesetzt fühlt:
Wie die Vorinstanz (angefochtener Entscheid S. 6) darlegt, ist die Thurgauer Praxis bei der Beurteilung von Fristerstreckungen grosszügig und stellt an entsprechende Gesuche keine hohen Anforderungen. Wenn der Verteidiger um keine Fristerstreckung ersucht hat, hat er sich den geltend gemachten Zeitdruck selber zuzuschreiben und kann er sich nicht darüber beklagen (E. 4.4).