Getrennte Strafverfahren gegen Mitbeschuldigte?
Die immer weiter um sich greifende (und in der Regel unrechtmässige) Praxis, Verfahren gegen mehrere Mitbeschuldigte getrennt zu führen (vgl. dazu Art. 29 f. StPO), hat nicht nur Auswirkungen auf die Teilnahmerechte, sondern auch auf die Beschwerdelegitimation; dies auch in Konstellationen, die wohl eher selten sind. Eine solche Konstellation stellt ein neues Urteil des Bundesgerichts dar (BGer 1C_49/2016 vom 06.04.2016).
Darin geht es um Strafanzeigen gegen mehrere Staatsanwälte, die im abgetrennten Verfahren gegen die Mitbeschuldigten des Strafanzeigers strafbare Handlungen begangen haben sollen. Gegen die Verweigerung der Ermächtigung, die in manchen Kantonen in solchen Fällen nötig ist, wollte sich der Strafanzeiger aus an sich nachvollziehbaren Gründen (s. dazu das Zitat unten) vor Bundesgericht beschweren. Dieses tritt aber nicht ein, weil der Strafanzeiger im betroffenen abgetrennten Verfahren ja eben nicht direkt beteiligt ist:
Die erwähnten Deliktsvorwürfe beziehen sich allesamt auf das Verhalten der Beschwerdegegner in separaten Strafverfahren gegen andere Beschuldigte [in der Sachverhaltsdarstellung spricht das Bundesgericht selbst ausdrücklich von Mitbeschuldigten, Anmerkung von mir]. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, die Staatsanwaltschaft habe Tatvorwürfe gegen jene Beschuldigten fallen gelassen, um ein abgekürztes Verfahren durchführen zu können. Entsprechende Absprachen würden aus einem intensiven E-Mail-Verkehr hervorgehen, welcher jedoch in der Folge weitgehend gelöscht worden sei.
Der Beschwerdeführer selbst ist von den erhobenen Deliktsvorwürfen nicht direkt betroffen (…). Im Rahmen seiner Beschwerdebegründung geht er zwar davon aus, dass die Begünstigung von anderen Beschuldigten ihm gegenüber „automatisch“ zu einer massiven Mehrbelastung führe. Dies liegt indessen nicht auf der Hand und wird vom Beschwerdeführer auch nicht näher begründet. Insbesondere macht er auch nicht geltend, im gegen ihn geführten Strafverfahren seien entsprechende Unregelmässigkeiten vorgekommen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, inwiefern dem Beschwerdeführer im Falle des Obsiegens ein praktischer Nutzen entstehen könnte. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten (E. 1.4).
Spannend wäre ja die Frage, ob die Bundesrichter (und vor ihnen die Oberrichter) nicht von Amtes wegen die Ihnen zur Kenntnis gebrachten Straftaten anzeigen müssten.
Das Urteil ist heikel: Was, wenn der Beschwerdeführer in der Folge der „separaten Strafverfahren“ verurteilt wird, weil er als einziger Beschuldigter für das Hauptdelikt übrig bleibt, nachdem die Mitbeschuldigten die Nebendelikte eingeräumt haben gegen einen Deal mit der Staatsanwaltschaft? Dann ist die Einschätzung des Beschwerdeführers zutreffend, seine Beschwerdelegitimation offenkundig, das Urteil damit bundesrechtswidrig und überdies noch schlecht heilbar. Oder, um die manchmal blumige Sprache der Lausanner Gerichtsschreiber zu benutzen, das Gericht ist hier „verkehrt vorgegangen“.