Gewalt und Drohung gegen Beamte – eine Bagatelle

Strafverfahren werden v.a. dann als Bagatellen qualifiziert, wenn die beschuldigte Person Anspruch auf amtliche Verteidigung geltend macht.


Ein Beispiel dafür ist ein neuer Entscheid des Bundesgerichts, das eine amtliche Verteidigung mit folgender Begründung für unnötig hält (BGer 1B_254/2018 vom 02.07.2018)

Der Beschwerdeführer, dessen Mutter aus Haiti stammt, ist in der Schweiz aufgewachsen, verfügt über das Schweizer Bürgerrecht, spricht Deutsch und ist aufgrund seiner (auch einschlägigen) Vorstrafen mit dem Ablauf eines Strafverfahrens vertraut [das Argument könnte genauso gut auch als Begründung für eine amtliche Verteidigung sprechen]. Der dem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt – die tätliche und verbale Beteiligung an einer Auseinandersetzung zwischen seiner Mutter und zwei Polizeibeamten – weist ebenso wenig wie die anwendbaren Straftatbestände – Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte bzw. Beschimpfung – erhebliche Schwierigkeiten auf; es braucht keine besonderen Rechtskenntnisse, sich dazu zu äussern und sich sachgerecht zu verteidigen [die braucht es nie, wenn man unschuldig ist, nicht wahr?]. Dass an der Auseinandersetzung seine Mutter (auf seiner Seite) und zwei Polizisten (auf der Gegenseite) beteiligt waren, verkompliziert die Sache nicht wesentlich: er muss seine Mutter nicht belasten, und den Polizisten kommen im Strafverfahren keine besonderen Rechte zu [ausser dass sie von Amts wegen Recht haben]. Zusammenfassend ergibt sich, dass ein Bagatellfall im Sinne von Art. 132 Abs. 3 StPO vorliegt und keine Umstände ersichtlich sind, die ausnahmsweise die Beiordnung eines amtlichen Verteidigers rechtfertigen könnten. Das Obergericht hat kein Bundesrecht verletzt, indem es dem Beschwerdeführer die Beigabe eines amtlichen Verteidigers verweigerte, die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet (E. 2.3, Hervorhebungen und Klammerbemerkungen durch mich).

Wenn ich sowas lese frage ich mich wirklich, wieso ich nach 25 Jahren Berufserfahrung als Strafverteidiger und Fachanwalt für Strafrecht in jedem einzelnen Fall auf rechtliche Fragen stosse, die ich jedenfalls aus dem Stand nicht beantworten kann. Ist das wirklich alles so einfach oder bin ich einfach zu blöd?