Glaubwürdigkeit v. Glaubhaftigkeit oder unzulässige Fragen an Zeugen
Zum Wochenende beliefert uns das Bundesgericht mit einem m.E. sehr wichtigen Grundsatzentscheid über die Abklärungen zur Glaubwürdigkeit von Zeugen nach Art. 164 Abs. 1 und 2 sowie Art. 177 Abs. 2 StPO (BGE 6B_323/2021 vom 11.08.2021, Publikation in der AS vorgesehen).
Anlass zum Entscheid gab, dass der Verteidigung nicht erlaubt wurde, Fragen zur Glaubwürdigkeit von Zeugen zu stellen. Der Entscheid des Bundesgerichts basiert auf der Prämisse, dass das Konzept einer “allgemeinen Glaubwürdigkeit” in der Aussagepsychologie als wenig brauchbar bewertet werde (E. 2.3.3).
Den Gesetzgeberischen Zirkelschluss hat das Bundesgericht leider nicht thematisiert. Diesen sehe ich darin, dass die Glaubwürdigkeit nur abzuklären sei, “soweit dies zur Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit erforderlich ist” (Art. 164 Abs. 1 StPO), was man ja aber erst wissen kann, wenn man die Abklärung gemacht hat.
Gemäss Bundesgericht war es im konkreten Fall zulässig, Fragen der Verteidigung zu unterbinden:
Die Vorinstanz schliesst die Personen aus der Gruppe der Zeugen aufgrund der räumlichen Distanz zum Opfer als Täter im angefochtenen Entscheid willkürfrei aus. Bei D., E. und F. handelt es sich somit um Zufallszeugen, d.h. um Personen, die zufällig am Tatort anwesend waren und die Tat bzw. damit zusammenhängende Umstände als Unbeteiligte beobachtet haben. Die Vorinstanz legt zudem dar, die drei Zeugen hätten im Wesentlichen übereinstimmende Aussagen zum Täter gemacht. Eine Absprache zwischen den Zeugen oder Gründe für eine Belastung des Beschwerdeführers wider besseres Wissen verneint sie. Selbst wenn gegen einen der Zeugen in einem anderen Zusammenhang jemals ein Strafverfahren wegen eines Rechtspflegedelikts eröffnet oder dieser gar wegen einer solchen Straftat verurteilt worden wäre, wofür der Beschwerdeführer jedoch keine Anhaltspunkte liefert, ist nicht ersichtlich, dass und weshalb sich dies in Berücksichtigung der gesamten Beweislage zugunsten des Beschwerdeführers auswirken müsste. In der Lehre wird zwar verschiedentlich die Auffassung vertreten, ein früheres Strafverfahren gegen einen Zeugen wegen falscher Zeugenaussage etc. sei geeignet, Bedenken an dessen Glaubwürdigkeit hervorzurufen (vgl. insb. DONATSCH, a.a.O., N. 21 zu Art. 177 StPO; BÄHLER, a.a.O., N. 5 zu Art. 164 StPO; KERNER, a.a.O., N. 11 zu Art. 177 StPO). Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, Zeugen seien unabhängig von der konkreten Beweislage immer zwingend zu allfälligen Strafverfahren wegen Rechtspflegedelikten zu befragen. Eine solche Befragung zum Vorleben des Zeugen hat zum Schutz von dessen Persönlichkeit nur mit Zurückhaltung und soweit notwendig zu erfolgen (oben E. 2.3.2). Entscheidend ist die Glaubhaftigkeit der konkreten Zeugenaussage und nicht die allgemeine Glaubwürdigkeit des Zeugen als persönliche Eigenschaft (oben E. 2.3.3). Sind die konkreten Aussagen des Zeugen wie vorliegend als glaubhaft zu qualifizieren, weil die Aussagen in sich stimmig sind, Realitätskriterien aufweisen und durch identische Aussagen weiterer Zeugen sowie weitere Indizien (vorgängiger Streit des Beschwerdeführers mit dem Beschwerdegegner 2, Blutspuren an den Kleidern des Beschwerdeführers) bestätigt werden und weil eine Absprache zwischen den Zeugen ausgeschlossen werden kann, erübrigen sich solche Abklärungen. Die Vorinstanz durfte den Antrag des Beschwerdeführers auf erneute Befragung der Zeugen, insbesondere zu ihrem Vorleben und zu allfälligen Strafverfahren wegen Rechtspflegedelikten, daher ohne Willkür abweisen. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt unbegründet (E. 2.5.2, Hervorhebungen durch mich).
Wie hätte man in Basel wohl entschieden, wenn die Zeugen entlastend ausgesagt hätten? Mehr dazu vielleicht in ca. einem Jahr.